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Krieg in der Ukraine und die geostrategischen Konsequenzen

Seit mehreren Tagen erleben wir traurigerweise, wie Machtpolitik und militärische Machtprojektionen nach wie vor Realität sind in der Weltpolitik. Russlands Einmarsch in die Ukraine hat geostrategische Konsequenzen. Eine Auslegeordnung des Swiss Institute for Global Affairs (SIGA):

(1) Verschiebung der normativen Grenzen:

  • Der klassisch-kinetische Krieg wird enttabuisiert. Die normativen Kosten für weitere Konflikte sinken für Russland und andere Staaten (vgl. Spillover-Effekte). Es könnte zu Nachahmer-Effekten in anderen Regionen der Erde kommen (beispielsweise auf dem Balkan, in Zentralasien, in Taiwan, im Mittelmeerraum oder in gewissen afrikanischen Ländern). Dabei sind eingefrorene Konflikte prädestiniert als Ausgangspunkt für weiterer Konflikte (vgl. Gemeinschaft nicht-anerkannter Staaten wie Abchasien, Südossetien, Transnistrien und Bergkarabach).
  • China wird die Lehren daraus ziehen, wie der Westen auf die Invasion auf die Ukraine reagiert. Das ist geostrategisches Probing. Die narrative Dimension wird dabei zentral sein. Wer wird die Deutungshoheit über diesen Krieg haben? Wer wird die Geschichte schreiben und welche Erzählungen werden produziert? Die Kurzfristigkeit und Schnelllebigkeit westlicher Gesellschaften sind empfänglich für narrative Machtprojektionen und oft überlässt der Westen das Produzieren von Narrativen anderen Weltregionen (vgl. Narrative Power und Strategic Communication StratCom).
  • Das Verhältnis China und Russland dürfte gestärkt aus dem Konflikt hervorgehen, dies trotz rhetorischen Unterschieden und teilweise divergierenden Ausrichtungen in Detailfragen. Russland wird jedoch tendenziell der Juniorpartner bleiben und China kann sich dank Russland strategisch und narrativ optimal regional wie international positionieren.
  • Dieser Konflikt wird zeigen, inwiefern die technologische Vorherrschaft ein zentraler Aspekt in Zusammenhang mit Sanktionen sein wird. Wie viel Unabhängigkeit und Autarkie sind – auch in Europa – möglich und nötig?

(2) Ablenkung von anderen Themen und Regionen:

  • Kurz vor Ausbruch des Krieges wurde vermeldet, dass Frankreich sich aus Mali (Afrika) zurückzieht. Russland hat diese Lücke bereits gefüllt. Afrika wird in Zukunft insbesondere infolge demografischer Dynamik eine relevante geopolitische Region. Wer sich dort aktuell neben China etablieren kann, positioniert sich strategisch für die Zukunft. Aktuell ist auch die Kontrolle oder Beeinflussung von Migrationsbewegungen geopolitisch relevant, wie das Beispiel Türkei zeigt.
  • Interessant wird zu beobachten sein, wie Russland sich während des Krieges und anschliessend in der Arktis positioniert.
  • Ähnlich wie China kann sich auch die Türkei im Ukraine-Krieg in der Ambiguität geschickt positionieren: einerseits als NATO-Staat, Counterpart zu Russland in technologischer Sicht sowie geostrategisch in der Schwarzmeerregion, andererseits als ambitionierte Regionalmacht im Mittelmeer mit ebenfalls militärischem Potenzial und vor allen viel Konfliktpotenzial gegenüber Europa (vgl. Migrationspolitik, Konflikt Türkei-Griechenland, etc.).
  • Vermutlich wird der Ukraine-Konflikt neue geoökonomische Fakten und neue Supply Chain-Logiken schaffen (sino-russische Allianz, Belt-and-Road-Initiative und Infrastrukturgeopolitik). Die infolge Corona-Krise angeschlagene europäische Wirtschaft wird wohl durch diesen Konflikt weiter in Mitleidenschaft gezogen (vgl. Energiegeopolitik, Inflationsgefahr, etc.).

(3) Cyber- und Informationsraum:

  • Der Konflikt zeigt, dass die Dimension Cyber und digitale Kriegsführung weniger relevant ist als gedacht, sobald ein Konflikt klassisch militärische Formen annimmt. Der Cyberraum ist aber eine nicht mehr wegzudenkende Sphäre der Konfliktführung. Ähnliches gilt für einen militärisch-operativ verstandenen Informationsraum mit kurzfristiger Propaganda.
  • Unzählige Social Media Daten und weitere digitale öffentliche Quellen (OSINT) führen zu einer Art transparenter Kriegsführung, die den Cyberraum einerseits attraktiv und spannend erscheinen lässt, jedoch gleichzeitig weder militärisch-operativ noch strategisch eine zentrale Rolle zu spielen scheint. Es geht weniger um das Verstecken und Verschleiern, sondern vielmehr um das Inszenieren und den Kampf um die richtige Interpretation und Konnotation.
  • Nichtsdestotrotz zeigt sich gleichzeitig im Informationsraum, wie die strategischen und taktischen, sowie die gesellschaftlichen und militärischen Ebenen stark verschränkt sind und hohe Interdependenzen aufweisen (inkl. Cyber- und Weltraum). Die Antwort ist eine holistische Sicherheitsarchitektur (vgl. Multidomain-Kultur), ähnlich wie wir das in der Chinesischen Sicherheits- und Geopolitik, sowie bei den Reformen der Volksbefreiungsarmee Chinas (PLA) beobachten können.
  • Es bestätigt sich, dass ein strategisch verstandener Informationsraum mit mittel- bis langfristigen Effekten eine zentrale geopolitische Rolle spielt und für die weiteren Entwicklungen im Bereich der Deutungshoheit die anderen Operationsräume und gesellschaftliche Sphären umspannt und durchdringt (vgl. Spin Politics).
Karte der Geopolitischen Analyse von SIGA 2021
Karte der Geopolitischen Analyse von SIGA 2021

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Krieg in der Ukraine und die geostrategischen Konsequenzen
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Kommentare: 3
  • #1

    Spin Doctor (Dienstag, 08 März 2022 08:55)

    Fraglich, was mit dem ständigen Verweis auf die "holistische Sicherheitsarchitektur" bezweckt werden soll, zumal die vorangegangenen zwei Absätze genau diesen gebetsmühlenartig vorgetragenen Begriff entkräften. Wenn eine "holistische" Kriegführung wirklich eine Neuheit ist, dann muss doch gezeigt werden, dass es sie zuvor noch nicht gab. Ist dies der erste Krieg, der über digitale Medien live gebroadcastet wird? Der erste mit Bestrebungen zur Informationskriegführung beider Seiten? Der erste, in welchem "klassische" Streitkräfteoperationen auf zivilen Widerstand treffen? Das Festhalten an Trendbegriffen vermag leider wenig zu überzeugen - was angesichts einiger spannender Take-Aways doch recht schade ist.

  • #2

    Heinz Günter (Donnerstag, 10 März 2022 12:56)

    Dieser Beitrag hat mir nicht weiter geholfen.

  • #3

    Karin Bergbuben (Donnerstag, 10 März 2022 12:58)

    Ich verstehe trotz des Beitrages nicht was denn nun die geostrategischen Folgen für uns wären!