Von Urs Vögeli
Der Begriff «Künstliche Intelligenz» ist heute mehr denn je unklar und wird auch willkürlich verwendet. Er ist ein Schlagwort geworden, genauso wie etwa Digitalisierung, Industrie 4.0 oder Cybersicherheit. Es wird zwar viel darüber geredet, ob in der Forschung und Technik, als auch in der Wirtschaft und Politik. Und dennoch findet kaum eine vertiefte gesellschaftliche Debatte darüber statt. Vielmehr sind die Narrative, Konnotationen und Bilder in unserem Kopf zum Thema Künstliche Intelligenz wahrscheinlich mehr von Science-Fiction geprägt, als uns lieb ist. Es fehlt an wirklich interdisziplinären Herangehensweisen und Transferleistungen zwischen Forschung, Philosophie, Gesellschaft, Politik und Anwendung. Dies führt mitunter zu vielen Missverständnissen und zum Anreiz, den Begriff einseitig zu Marketingzwecken oder für strategische Machtprojektionen zu verwenden. Staaten und Firmen buhlen um die technische Vorherrschaft. Dies erschwert es zudem, die richtigen soziopolitischen Fragen zu stellen und entsprechende Antworten zu liefern.
Die Gefühlslage zum Begriff KI pendelt irgendwo zwischen zauberhaftem Wundermittel und apokalyptischer Gefahr. Mit dem Begriff geht einerseits grosse Angst einher, andererseits ist er auch mit viel Hoffnung verbunden. Befürchtungen in Zusammenhang mit Kontrollverlust und die mit KI verbundenen Überwachungsmöglichkeiten sind in der westlichen Bevölkerung weit verbreitet. Umgekehrt möchten wir alle von den Annehmlichkeiten moderner Digitaltechnologien profitieren und unseren Wohlstand weiterentwickeln. Bereitwillig geben wir beispielsweise unsere Daten an amerikanische Internetgrosskonzerne ab und sind auch offen, Verantwortlichkeiten im Namen der Effizienz und vermeintlichen Objektivität wegzudelegieren.
Die Debatte zum Thema Künstliche Intelligenz war bisher vorwiegend durch technologische Aspekte und die Informatikfachwelt geprägt. Dies gibt der Diskussion einen spezifischen Drall, der womöglich die technologische Komplexität des Themas überbetont und damit die soziokulturelle, gesellschaftliche, philosophische und politische Debatte einseitig erschwert. Unsere Analysen und Beiträge sollen diesen Mängeln im Diskurs entgegenwirken und eine neue Offenheit für fruchtbaren interdisziplinären Austausch ermöglichen. Einen ersten Versuch der Klärung und holistischen Herangehensweise möchte ich nun hier präsentieren.
Tabelle 1: Vergleich KI-Mensch
Gerne stelle ich diese Tabelle 1 als Vergleich zur Debatte. Sie soll aufzeigen, was heutige KI überhaupt ist und wie sie im Vergleich zum Menschen abschneidet. Wenn heute über KI gesprochen wird, geht es also viel mehr um Imitation und Simulation von bestimmten Ausprägungen von menschlicher Intelligenz. Auch wenn heute schon empathische KI vorgestellt werden, geht es auch hier nur um Nachahmung und Vorspiegelung. Die Komplexität des Menschlichen wird womöglich stark reduziert, wenn wir beginnen Maschinen und Algorithmen als intelligent und denkfähig zu bezeichnen.
Auch ein aktuelles Technologie-Mapping (Tabelle 2) belegt, dass das, was als KI bezeichnet wird, nicht wirklich dort ist, wo es der Begriff vermuten lässt. Es hat sich in der Fachwelt daher auch der Begriff «Enge KI» etabliert, der eher als «Inselbegabung» umschrieben werden kann. Eine Generelle KI ist noch ein weit entferntes Phänomen, eine weit entfernte Utopie oder Dystopie.
Tabelle 2: Enge KI-Generelle KI
Wenn wir uns nun mit dem Thema Intelligenz auseinandersetzen, schlage ich eine holistische Sichtweise vor (Tabelle 3). Ein komplexes und ganzheitliches Menschenbild soll dabei Ausgang der Beurteilung sein.
Tabelle 3: Holistisches Intelligenz-Verständnis
Diese Betrachtungsweise erlaubt eine differenzierte Sicht auf den Begriff «Künstliche Intelligenz» und lässt ebenfalls den Schluss zu, dass die Entwicklung bei weitem nicht dort ist, wo uns vielleicht geschickte Firmen und Staaten glauben machen wollen. Die These ist nun die, dass es sich bei «Künstlicher Intelligenz» primär um einen Marketingbegriff handelt. Auch für Forscher ist es attraktiv, Vorhaben mit Künstlicher Intelligenz in Verbindung zu bringen, weil zurzeit lukrative Forschungsgelder locken unter diesem Stichwort. Firmen möchten natürlich ihre smarten Produkte und Annehmlichkeiten verkaufen. Und Staaten wollen sich als mächtig und einflussreich darstellen und nutzen dazu prominent den Term «Künstliche Intelligenz». Das heisst nicht, dass neue Technologie nicht disruptiv und mächtig sein können. Die digitale Transformation hat generell das Potenzial sozioökonomische und geopolitische Umwälzungen auszulösen. Aber mit einer richtigen Einordnung des Begriffs «Künstliche Intelligenz» kann ein gewisses Manipulationspotenzial reduziert und hoffentlich eine sachlichere Debatte angestossen werden, die auch inklusiver ist als bisher.
Womöglich macht es auch Sinn gewisse Themen klarer voneinander zu trennen, so etwa das Thema Big Data (Datenpolitik), KI und Digitalinfrastruktur. Diese Einleitung soll nun als Ausgangslage dienen, eine offene und übergreifende Diskussion in Gang zu setzen. Das Feld ist jetzt beispielsweise offen für die Philosophie, für Ethik- und Wertediskussionen, aber auch kulturell-künstlerische und sozioökonomische Aspekte oder etwa die Cyberanthropologie.
Literatur:
Knuddeln mit der Roboterrobbe. Gull, Thomas (2019). In: UZHmagazin Nr. 2. Mit Prof. David Hémous. Dr. Yulia Sandamirskaya. Dr. Eva Weber-Guskar.
Verkaufte Datenseelen. Interview mit Prof. Michael Latzer. In: UZHmagazin Nr. 2/19.
What is artificial intelligence in 2018 and beyond? Karus, Siim/Reginold, Remo (2018). In: swissfuture 02/18.
Künstliche Intelligenz – Verheissungen und Mythen. Steinmüller, Karlheinz (2018). In: swissfuture 02/18.