China ist unter Xi Jinping daran, den chinesischen Traum der Wiederbelebung der chinesischen Nation zu realisieren. Mit umfassenden und strategischen Projekten wie den neuen Seidenstrassen soll die globale Ordnung umgestaltet werden. Auch innenpolitisch erfolgen in der Armee und im politischen System tiefgreifende Reformen, die clever mit Pekings Aussen- und Sicherheitspolitik verbunden sind.
Das Swiss Institute for Global Affairs (SIGA) versucht mit einem holistischen Ansatz die aufstrebende Weltmacht zu verorten und damit eine geostrategische Perspektive zu gewinnen, die kluge Antworten auf die Herausforderung China ermöglicht. Nachfolgend eine Zusammenfassung unserer Analysen mit Links zu detaillierteren Produkten und Materialien.
Die wirkungsmächtigste Demonstration der chinesischen Machtansprüche ist das 2013 vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping initiierte neue Seidenstrassen-Projekt (BRI für Belt-and-Road-Initiative; Abb. 1). Damit will China über den Land- wie auch über den Seeweg Asien, Afrika und Europa erschliessen und wirtschaftlich miteinander verbinden. Es geht um eine geostrategische Positionierung, vordergründig durch Mittel wie Infrastrukturen, Diplomatie, Technologien und Wirtschaft, sowie hintergründig auch um internationales Recht, Geschichtsnarrative und Informationsdominanz. Diese hintergründigen Instrumente entfalten ihre Wirkung besonders mit den drei «versteckten Seidenstrassen», die von Peking äusserst strategisch verfolgt werden: die Polar Silk Road, die Digital Silk Road und die Solar Silk Road (Weltraumgeopolitik).
Bis 2050 will die People’s Liberation Army (PLA) der Volksrepublik China eine Weltklasse-Armee sein, welche überall auf dem Globus Kriege und Operationen erfolgreich durchzuführen vermag. Mit einer umfassenden Umstrukturierung des Militärs (Abb. 2) werden die Streitkräfte dynamisiert und gemäss der Doktrin der informationsgetriebenen Kriegsführung über das Element Information vernetzt. Dies impliziert ein holistisches Sicherheitsverständnis holistisches Sicherheitsverständnis, welches rechtliche, psychologische und mediale Kriegsführung miteinschliesst. Exemplarisch steht hierfür die Schaffung der sogenannten Strategic Support Force SSF (Abb. 3). Die 2015 lancierten Reformbewegungen der PLA sind dabei als Teil einer ganzheitlichen, politischen Reform zu verstehen. So wurde auch die Parteikontrolle ausgebaut und die zentralen Institutionen gefestigt.
Die Strategic Support Force ist Ausdruck eines neuen militärischen Verständnisses von Joint (Verbund). Damit werden via Information und Kommunikation die klassischen Armeebereiche (vgl. Heer, Luftwaffe, Marine) gesteuert und dynamisiert aber auch neue Formen der Kriegsführung ausgelotet. So wie es für den Schutz des Luftraumes einen Luftschirm braucht, wird für den Cyberraum ein Cyberschirm benötigt. Bei der SSF zeigt sich aber, dass bei den Chinesen nicht ein einseitig technisches Verständnis von Cyber und Information vorzuherrschen scheint, sondern ein holistisches Verständnis. Sie sprechen von informationsgetriebenen Konflikten und Kriegen. Es geht um Informationsdominanz und Informationsüberlegenheit. Zusätzlich zum Luft- und Cyberschirm braucht es also einen Informationsschirm. Interessant ist dabei, dass die in diesem Zusammenhang für ‘Information’ gebrauchte chinesische Zeichen (信息) vielmehr als ‘Nachricht’ übersetzt werden müssten. Es geht also nicht nur um Daten, Datenübertragung und deren Verarbeitung, sondern es geht um Inhalt (vgl. content). Im Englischen würde man dann eher von «Intelligence», d.h. «nachrichtendienstlich» sprechen und nicht einfach plump von Information und schon gar nicht von Informatik. Neben der innovativen Zusammenführung der Bereiche Weltraum und Cyber bestätigt gerade der Einbezug von nachrichtendienstlichen Elementen und der Fähigkeit von psychologischen Operationen bei der SSF die These eines ganzheitlichen Verständnisses von Informations- und Cyberraum. Es wäre in dieser Form ein «Kampf der verbundenen Waffen 4.0» (vgl. Joint 4.0). Der doktrinale Ansatz der «Three Warfares» der PLA spricht ebenfalls diese Sprache. Rechtliche, psychologische und mediale Kriegsführung werden militärisch integriert. Das Konzept der Civil-Military-Fusion lässt zusätzlich auch die Grenzen zwischen Militär, Wissenschaft und Wirtschaft verschwimmen. Soziokulturelle Projektionen (z.B. Konfuzius-Institute, Sprach- und Studentenaustausch, Stipendien, Forschungsprojekte, etc.) werden zusätzlich via Einheitsfront gewährleistet. Narrative sind dabei der Haupttreiber und das verbindende Element hinter diesem holistischen und integrativen Multidomain-Ansatz, hinter diesem Joint 4.0.
Demzufolge ist auch ein innenpolitisches Verständnis von China wichtig. Das Innenleben der Kommunistischen Partei (Abb. 4), sowie die feingliedrigen Machtnetzwerke sind sehr komplex und entsprechen nicht einer westlichen Vorstellung von Staat und Partei. Neben den zentralen Organen sind aber beispielsweise auch die lokale Konkurrenz und dynamische Rivalität zwischen den Provinzen charakteristisch für das System. Nichtsdestotrotz ist unter Xi Jinping eine starke Tendenz hin zu einer personenbezogenen und zentralen Herrschaft zu beobachten. Die formellen und informellen Vernetzungen zwischen Partei, Staat und Militär sind dabei äusserst dicht. Es herrscht zugleich aber auch ein ausgeprägtes Lobbying und Patronagewettbewerb um die Ämter in den zentralen Organen. Persönliche Netzwerke und Fraktionen spielen in diesem System eine dominante Rolle.
Spannende Muster zeigen sich daher auch im weitverzweigten Machtnetzwerk rund um Xi Jinping (Abb. 5). Er etabliert aus verschiedenen bestehenden regionalbezogenen und privaten «Connections», «Gangs» und «Cliquen» einen eigenen Kreis von loyalen Mitstreitern, teilweise mit sehr konventionellen, aber auch unkonventionellen Hintergründen. Diese Leute werden in die Entourage aufgenommen oder geschickt im System positioniert.