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Probleme mit der Designation von «ausländischen Agenten»

Mai 2024

 

Anhaltende Proteste gegen einen Gesetzesentwurf in Georgien, der, je nachdem welche Seite gefragt wird, dazu da ist, Georgiens Souveränität von unangebrachtem ausländischen Einfluss zu schützen oder Demokratie untergräbt und Dissens unterdrücken will, zeigen, dass das Problem von ausländischen Agenten erneut und nicht nur in Georgien, sondern in diversen Ländern zu einem heissen Thema geworden ist. Eine genauere Untersuchung des Swiss Institutes for Global Affairs (SIGA) zeigt die mannigfaltigen Schwierigkeiten mit der Designation von ausländischen Agenten und dass Dinge selten so schwarz-weiss sind, wie oft dargestellt.


Ein Ankündigungsposter für einen der vielen Proteste in Tbilisi, Georgien, gegen die Gesetzesvorlage zur «Transparenz von ausländischem Einfluss», die von Demonstrierenden das «russische Gesetz» genannt wird. Der Titel bedeutet «Ja zu Europa» in Georgisch (Quelle: https://transparency.ge/en/post/non-governmental-and-media-organizations-are-suspending-cooperation-government-until-russian)

An praktisch jedem Tag seit dem 15. April 2024 sind Tausende von Leuten auf die Strassen von Tbilisi, der Hauptstadt der kleinen Kaukasusrepublik Georgien, geströmt, um gegen einen Gesetzesentwurf zur «Transparenz von ausländischem Einfluss» zu protestieren. Diese Protestierenden nennen den Entwurf das «russische Gesetz», da dieses eine Kopie eines russischen Gesetzes aus dem Jahre 2012 sei, welches unabhängige Organisationen und Medien in Russland, die mit ausländischen Geldern finanziert werden, verpflichtet, sich als «ausländische Agenten» zu registrieren und welches zur Unterdrückung solcher Organisationen und Medien in Russland geführt habe. Kritiker des georgischen Gesetzesentwurfes, inklusive hohe EU Beamte sowie Mitglieder des europäischen Parlamentes, geben weiter an, dass die Verabschiedung des fraglichen Gesetzes nicht mit europäischen Werten vereinbar sei und Georgiens Integration in die EU gefährden würde. Letztere steht seit Jahren im Zentrum von Georgiens Aussenpolitik und ist gar in der georgischen Verfassung verankert.

Die georgische Regierung und Mitglieder von Georgiens regierender Partei, georgischer Traum, welche eine Mehrheit im Parlament bilden, weisen all dies zurück und versichern, dass das Gesetz zum Schutz von Georgiens Souveränität vor unangebrachten ausländischen Einflüssen und Subversion notwendig sei. Sie beteuern zudem, dass das geplante Gesetz dem Beispiel ähnlicher existierender oder geplanter Gesetze in westlichen Ländern, inklusive einer geplanten EU-Direktive, folge.

Da diverse Länder, inklusive westlicher, in der Tat Gesetzgebung gegen ausländische Agenten oder ausländischen Einfluss haben oder solche planen, zeigt, dass diese Thematik allgemeiner ist als der georgische Gesetzesentwurf.

Eine genauere Untersuchung der Sachlage in Georgien sowie von bestehenden und geplanten Gesetzen in anderen Ländern zeigen sodann, dass das Kernproblem ist, ausländische Agenten in einer Art und Weise zu definieren, die nicht zu viele Personen oder Organisationen betrifft. Während pluralistische westliche Demokratien besser ausgerüstet sind, dies zu tun, zeigen vergangene und derzeitige Beispiele, dass auch diese alles andere als unfehlbar sind und dass selbst liberale Ansichten anfällig darauf sind, interne Opponenten als ausländische Agenten zu beschuldigen. 

Was macht einen ausländischen Agenten aus

Die meist gehörten Parolen von Demonstrierenden in Georgien sind «Nein zum russischen Gesetz» und «Ja zu Europa»; im Gegensatz dazu erklärt Georgiens regierende Partei wiederholt, dass der umstrittene Gesetzesvorschlag kein russisches Gesetz sei, sondern auf dem existierenden U.S. Foreign Agent Registration Act (FARA) von 1938 sowie laufenden Plänen für eine EU-Direktive und ein französisches Gesetz über Transparenz von ausländischen Einflüssen basiere. Beide Seiten haben teilweise Recht und teilweise nicht.

Eines der Hauptargumente der Protestierenden ist, dass der Text des georgischen Gesetzesentwurfes sowie Aussagen von georgischen Regierungsvertretern darauf hinweisen würden, dass das Gesetz darauf abziele, die georgische Zivilgesellschaft und Medien, die von staatlichen westlichen Geldgebern unterstützt werden, zu unterdrücken wie es in Russland geschehen sei. Mit der Behauptung des georgischen Traumes konfrontiert, wonach die Gesetzesvorlage auf ähnlichen westlichen Gesetzen beruhe, erklären Kritiker regelmässig, dass verabschiedete und geplante westliche Gesetze wie der U.S. FARA sich von der georgischen Vorlage unterscheiden würde, da erstere nur Aktivitäten von Agenten von feindlichen Mächten, nicht Verbündeten betreffen würde.

Dass der georgische Entwurf ein problematisch weites Netz vorsieht und hauptsächlich Organisationen betreffen würde, die von Geldgebern aus westlichen Staaten unterstützt werden, die offiziell mit Georgien verbündet sind, ist in der Tat der Fall. Dies ergibt sich aus der Entscheidung, die Definition von «Organisationen, die die Interessen einer ausländischen Macht verfolgen» — die Bezeichnung mit der Georgiens regierende Partei den umstritteneren Begriff des «ausländischen Agenten» ersetzt hat — einzig an das Kriterium, dass mehr als 20 Prozent der Einnahmen einer Organisation aus ausländischen Quellen stammen, zu binden und der Entwurf kaum Ausnahmen vorsieht. Dies geht gar über das russische Gesetz (für eine inoffizielle englische Übersetzung siehe hier) hinaus, da dieses die Definition zwar ebenfalls von ausländischer Finanzierung (ohne jeglichen Schwellenwert) abhängig macht, jedoch nur auf Organisationen anwendbar ist, die politische Aktivitäten verfolgen, und zudem viel mehr Ausnahmen als der georgische Entwurf vorsieht. (Während Kritiker unterstreichen, dass die russische Definition von politischen Aktivitäten zu breit und vage sei, ist dies dennoch ein nennenswerter Unterschied zwischen dem russischen und dem georgischen Gesetz.)[1]

Dies gesagt definieren der U.S. FARA sowie die erwähnten Entwürfe für eine EU-Direktive und ein französisches Gesetz, wer sich als ausländischer Agent zu registrieren hat, darüber, ob eine Person oder Organisation gewisse Aktivitäten für eine ausländische Macht vornimmt, was nicht zwingend ausländische Finanzierung erfordert (eine solche kann jedoch eine wichtige Rolle spielen). Die Umschreibung solcher Aktivitäten ist ebenfalls breit, was bedeutet, dass solche Gesetze auf viel mehr Fälle Anwendung finden, denn gemeinhin angenommen. Der Umstand, dass westliche Gesetze diverse nennenswerte Ausnahmen vorsehen (beispielsweise, dass Medien unter dem U.S. FARA unter gewissen Umständen ausgenommen sind oder dass der französische Entwurf eine Ausnahme für Aktivitäten mit Verbindungen zu anderen EU-Staaten enthält), vermag dies nicht zu ändern.

Daher entspricht die regelmässig vorgebrachte Behauptung, dass der U.S. FARA nur potentiell schädigende Aktivitäten von Agenten von feindlichen Mächten betrifft, nicht der Wahrheit. Während die Entstehungsgeschichte des U.S. FARA zeigt, dass dies das Ziel war, namentlich um Propaganda vom damaligen Nazi-Deutschland und Kommunisten zu kontern, sieht die Realität anders aus. Per 12. Mai 2024 waren 507 Agenten mit Verbindungen zu 727 ausländischen Auftraggebern aus Dutzenden von Ländern, darunter auch zahlreiche nahe U.S. Verbündete, unter dem U.S. FARA registriert. Basierend auf den derzeitigen Texten der vorgeschlagenen EU-Direktive und des geplanten französischen Gesetzes werden diese Gesetze mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ähnliche Probleme haben, nämlich, dass die Bestimmungen auf zahlreiche, und nicht nur wenige ausgewählte Organisationen mit verdächtigen Aktivitäten anwendbar sein werden.

Auszug aus dem U.S. FARA Register per 12. Mai 2024, der mehrere ausländische Agenten ausweist, die mit Grossbritannien verbunden sind, einem der engsten Verbündeten der Vereinigten Staaten von Amerika (source: https://efile.fara.gov/ords/fara/f?p=1381:1:14002355677344:::::)

In diesem Zusammenhang ist wichtig in Erinnerung zu rufen, dass all diese Gesetze nicht gegen verdeckt agierende ausländische Agenten gerichtet sind. Solche Agenten, die ihre ausländische Verbindung sowieso nie preisgeben, geschweige denn sich registrieren würden, fallen unter andere Gesetze gegen Spionage.

Was man mit einem ausländischen Agenten macht

In der Tat und in starkem Kontrast zu Gesetzen gegen Spionage ist die ursprüngliche Idee all dieser Gesetze gegen ausländische Agenten nicht, diese Agenten zu verbieten, sondern zu exponieren, dass diese von ausländischen Mächten gesteuert oder zumindest beeinflusst werden. Dies soll versteckte unangebrachte Beeinflussung verhindern und weniger attraktiv machen sowie die Auswirkungen solcher Aktivitäten schwächen. Dementsprechend ist der gemeinsame Nenner all dieser Gesetze, dass diese anordnen, dass sich ausländische Agenten als solche registrieren und präsentieren müssen. In Praxis führen Durchsetzungsbestimmungen jedoch dazu, dass die Aktivitäten von ausländischen Agenten unterdrückt werden können.

Dies zeigt sich auch im derzeitigen georgischen Fall, in dem Befürworter des umstrittenen Gesetzes beteuern, dass das Gesetz nur die Registrierung von ausländischen Agenten sowie die Offenlegungen deren Finanzierung verlangt, während Kritiker versichern, dass das Gesetz zur Schliessung von zivilgesellschaftlichen und anderen Nichtregierungsorganisationen sowie unabhängigen Medien führen würden. Wiederum sind beide Sichtweisen ungenau.

Die georgische Gesetzesvorlage stipuliert in Art. 1 Abs. 2 in der Tat explizit, dass die Registrierung als «Organisation, die die Interessen einer ausländischen Macht verfolgt» deren Aktivitäten nicht limitiert, sprich dass das Gesetz nicht dazu benutzt werden kann, direkt in die Aktivitäten solcher Organisationen einzugreifen. Dies ist ein weiterer Kontrast zum russischen Gesetz, welches in Art. 32 Abs. 5 Ziff. 6 vorsieht, dass der Staat unter gewissen Umständen die Suspendierung von Aktivitäten von Organisationen anordnen kann, die unter die Gesetzgebung über ausländische Agenten fallen.

Dies gesagt sind Befürchtungen, dass das georgische Gesetz zur effektiven Schliessung von teilweise ausländisch finanzierten Organisationen führen würde, nicht grundlos. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass der georgische Gesetzesentwurf benutzt werden könnte, Bussen zu verhängen (Art. 9), die zahlreiche georgische Organisationen kaum, wenn überhaupt bezahlen könnten, und diese praktisch zur Schliessung zwingen würde. Dies ist gar noch problematischer, da der Wortlaut des Gesetztes darauf hindeutet, dass selbst kleinste Fehler in der Offenlegung von finanziellen Informationen zu happigen Bussen führen könnten.[2] Angesichts dessen und gewisser Aussagen von Vertretern von georgischer Traum ist die Befürchtung, dass die georgische Regierung auf kleinen technischen Fehlern beruhende administrative Bussen nutzen könnte und würde, um indirekt die bisher sehr aktiven unabhängigen Nichtregierungsorganisationen zu unterdrücken.

Wenig überraschen streitet die georgische Regierung dies ab und verweist darauf, dass die in Georgien vorgeschlagenen Strafen beträchtlich milder seien als beispielsweise die im U.S. FARA vorgesehene Sanktionen. Dies ist bis zu einem gewissen Grade richtig, da das U.S. FARA und die genannten europäischen Pläne beträchtliche Strafen beinhalten, die teilweise weit über den georgischen Entwurf hinausgehen. So sehen der U.S. FARA (§ 618 (2)) und der französische Entwurf (Art. 18.15) im Gegensatz zum georgischen Text Gefängnisstrafen von mehreren Jahren vor. Dementsprechend fragen Mitglieder des georgischen Traumes oft rhetorisch weshalb der georgische Gesetzesvorschlag von westlichen Staaten kritisiert wird, obwohl solche Gesetze in den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa gutgeheissen werden.

Während Letzteres bis zu einem gewissen Grade mit juristischen Problemen des jetzigen georgischen Entwurfes, darunter den oben erwähnten, erklärt werden kann, ist das Hauptargument ein anderes: nämlich dass etablierte Demokratien mit einer starken rechtsstaatlichen Tradition solche Gesetze verantwortungsbewusst und verhältnismässig implementieren können und zum Schutz ihrer Systeme auch sollen, während autoritäre Regime und Demokratien mit autoritären Tendenzen dies nicht tun und solche Gesetze missbrauchen, um Opposition zu unterdrücken. Während dies generell richtig ist, ist dies zum Teil auch ein Trugschluss, da vergangene und derzeitige Beispiele zeigen, dass selbst liberale Demokratien mit strikter Rechtsstaatlichkeit solche Gesetze nicht so gut implementieren wie oft angenommen und dass solche Gesetze in allen Kontexten regelmässig zur problematischen Darstellung von einheimischen Problemen als ausländisch verursacht führen.

Ausländische Agenten oder einheimische Opposition?

Der U.S. FARA ist ein Beispiel dafür. Während das ursprüngliche Ziel dieses Gesetzes, die Verteidigung von Demokratie und Freiheit gegen Propaganda von totalitären faschistischen und kommunistischen Regimen, hehr war, wurde der U.S. FARA in verschiedenen Perioden und ob absichtlich oder aufgrund verständlicher aber fehlgeleiteter Angst für fragwürdige Verfolgungen benutzt, wobei die anti-kommunistischen Hexenjagden der McCarthy Ära in den 1950er Jahren wohl die bekanntesten Beispiele sind. Dass solche Probleme nicht verschwunden sind, zeigt sich im Umstand, dass der U.S. FARA im Zuge der U.S. Präsidentschaftswahlen im November 2016 und Anschuldigungen von russischer Beeinflussung eine Renaissance erlebt hat, in der es zu mehr als fragwürdigen Rufen und Durchsetzungen von Registrierungen gekommen ist (für weitere Einzelheiten siehe zum Beispiel den passend betitelten Artikel «Fixing the FARA Mess»).

Dies ist umso problematischer, als dass der Diskurs um ausländische Agenten schnell und ob absichtlich oder nicht dazu führen kann, dass einheimische Probleme als von ausländischen Agenten verursacht dargestellt werden. Während im Kalten Krieg sowjetische Agenten am Werk waren, wurde der U.S. FARA in verschiedenen Fällen auch gegen Amerikaner angewandt, die lediglich legitime einheimische Aktivitäten zum Schutz von Bürger- und Arbeiterrechten betrieben, jedoch als kommunistische Agitatoren verunglimpft wurden. In ähnlicher Weise und obwohl es Beweise für gewisse russische Einmischung in U.S. amerikanische Politik gibt, haben Anschuldigungen, dass gewisse gewählte U.S. Politiker von Russland beeinflusst sind, in jüngster Zeit mehr als fragwürdige und gar aus demokratischer Sicht gefährliche Ausmasse angenommen (für Einzelheiten, siehe beispielsweise diesen Artikel).

Die Problematik, einheimische Aktivitäten als von ausländischen Agenten intrigiert darzustellen, zeigt sich auch in der derzeitigen Situation in Georgien, wo dies bemerkenswerter Weise in beide Richtungen geschieht.

Die meisten der Organisationen, die von der umstrittenen georgischen Gesetzesvorlage betroffen werden würden, werden von Georgiern betrieben, die tun, was sie tun, inklusive der teilweise militanten Kritik an der georgischen Regierung, weil sie glauben, dass dies im besten Interesse der georgischen Bevölkerung ist, nicht von ausländischen Geldgebern. Während die Regierung oder jeder andere mit solchen Aktivitäten nicht einverstanden sind, diese anprangern und mehr Transparenz fordern können, verneint die Annahme, dass alle ausländisch finanzierten Organisationen die Interessen von Ausländern verfolgen, wie es der umstrittene Gesetzestext macht, in fragwürdiger Weise die einheimische Motivation und Agenda der meisten dieser Organisationen. 

Handkehrum und während es das Recht von Demonstrierenden und Kritikern ist, über die derzeitigen Pläne der georgischen Regierung besorgt zu sein und diese zu bekämpfen, umso mehr als es vermehrt zu erschreckenden Einschüchterungsversuchen gegen Protestierende gekommen ist, sind Anschuldigungen, dass Parlamentsmitglieder und Regierungsvertretende russische Agenten oder «Sklaven» seien, nur weil das vorgeschlagene Gesetze eine Kopie eines russischen Gesetzes sein soll (wie gezeigt ist dies nicht der Fall), der Gründer des georgischen Traumes, Billionär Bidzina Ivanishvili, sein Vermögen in Russland gemacht hat, oder sie andere vage Indizien dafür sehen, nicht nur nicht sachdienlich, sondern genauso dubios wie die Ansicht, dass jede westlich finanzierte Nichtregierungsorganisation oder Mediengesellschaft ein westlicher Agent sei. Gesprächen mit Befürwortern des Gesetzes deuten vielmehr darauf hin, dass Vertreter von georgischer Traum und deren Wähler ihre georgische Identität und Tradition wirklich gefährdet sehen und glauben, Gesetze wie das vorgeschlagene zu benötigen, und keine subversiven russischen Pläne umsetzen.[3] 

Wenn dies falsch oder für Georgien abträglich ist, sollte dies auf einheimischer Ebene und unter Anerkennung, dass die genannten Ansichten georgisch sind, angegangen werden und nicht indem diese als russische Verschwörung verschrien werden und nach EU Sanktionen gerufen wird, wie dies Protestierende und Mitglieder des europäischen Parlaments tun und dabei, ironischerweise, dieselben Konzepte wie das von ihnen abgelehnte angebliche russische Gesetz widerspiegeln.

Letzteres ist umso mehr der Fall, als dass der georgische Traum nicht willkürlich in einer Position ist, die umstrittene Gesetzesvorlage durchzuboxen, sondern weil die Partei in Wahlen eine Parlamentsmehrheit gewonnen hat (während die Ergebnisse der letzten Parlamentswahl im Jahre 2020 heftig umstritten waren, hielt das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) fest, dass mehrere Parteien in diesen Wahlen wetteiferten und fundamentale Freiheiten insgesamt respektiert worden seien). Dass der georgische Traum in der Tat die bei weitem stärkste Partei in Georgien ist, wurde auch von unabhängigen Umfragen bis mindestens Herbst 2023 bestätigt. Zu behaupten, dass es seitdem und wegen den Kontroversen um das umstrittene Gesetz zu einer kompletten Änderung dieser Lage gekommen sei, ist nicht nur spekulativ, sondern fraglich. Letzteres ergibt sich aus dem Umstand, dass die zitierte Umfrage just zu einem Zeitpunkt durchgeführt wurde, in dem die von georgischer Traum geführte Regierung Nichtregierungsorganisationen und deren staatlichen westlichen Geldgeber anschuldigte, einen Staatsstreich zu planen, was bereits damals zu öffentlichen Diskussionen um die Gefahr für Georgiens angestrebte EU-Integration geführt hatte. Dementsprechend waren das Verhalten und die Aussagen von Vertreten des georgischen Traumes im Zeitpunkt dieser Umfrage mehr oder weniger dieselben wie jetzt.

Dass die zeitweise Zehntausenden von Demonstrierenden in Tbilisi Strassen an der Vormachtstellung von georgischer Traum rütteln und dass eine Umfrage darauf hinweist, dass eine knappe Mehrheit von Georgierinnen und Georgiern, dass umstrittene Gesetze über ausländische Agenten, nach einem ersten Einführungsversuch Anfang 2023 abgelehnt haben, soll und kann nicht ignoriert werden. Man sollte jedoch auch nicht vergessen, dass die Partei immer noch von einer substantiellen Zahl von Georgierinnen und Georgiern unterstützt wird und eine demokratisch gewählte Regierung stellt.

Demonstrierende vor dem georgischen Parlament am 15. April 2024, dem ersten Tag der immer noch beinahe täglich anhaltenden Proteste (Franz J. Marty, 15th of April 2024)

Schlussfolgerung

Angesichts all des Gesagten zeigen vergangene und derzeitige Erfahrungen in verschiedenen Kontexten, dass selbst gutgemeinte Massnahmen zur Verteidigung gegen ausländische Agenten regelmässig zur Verhärtung von Fronten führen, in der die eine Seite — sei es eine Regierung oder Oppositionskräfte — sich als die einzig rechtschaffene sieht und anderen verweigert, eigene abweichende Meinungen zu haben, in dem solche als von ausländischen Einflüssen verursacht dargestellt werden. Während liberale Regierungen und Gruppen weniger anfällig sind, solche Fehlschlüsse zu machen, sind sie alles andere als immun dagegen. Dies zu realisieren und sich dem bewusst zu sein ist daher von äusserster Wichtigkeit, insbesondere in jetzigen Zeiten von verstärkender Polarisierung und Rufen nach Gesetzen gegen ausländische Unterwanderung, namentlich in Europa und namentlich betreffend Sichtweisen, die den eigenen widersprechen.

Dies soll nicht heissen, dass man ausländische Unterwanderung verneinen oder ignorieren soll, sondern nur, dass man nicht hinter allem und jedem einen ausländischen Agenten sehen und abweichende Sichtweisen schnell auf ausländischen Einfluss zurückführen soll. Ein besserer Ansatz wäre, solche Probleme nüchterner und als meistens einheimisch anzugehen.

 

 

Franz J. Marty


[1] Dass die regierende Partei in Georgien in der Tat ein solch weites Netz wie im derzeitigen Entwurf will, ist höchst fraglich und wahrscheinlich ein Versehen welches aufgrund der hitzigen Diskussion um das Gesetz nicht bemerkt worden ist. Aussagen von Vertreten des georgischen Traumes weisen stark darauf hin, dass diese das Gesetz nur auf Organisationen mit politischen Aktivitäten und Medien und nicht jegliche Organisationen anwenden wollen. Dies macht auch praktisch Sinn, da die regierende Partei kaum daran interessiert sein kann, selbst kleine apolitische Organisationen, deren Aktivitäten zweifellos harmlos sind, wie zum Beispiel Organisationen zur Unterstützung von Behinderten oder Tierheime, zu kontrollieren, geschweige denn das staatliche Budget zur Deckung von dadurch entstehende administrative Ausgaben zu nutzen (Art. 4 Abs. 5 des Gesetzesentwurfes hält explizit fest, dass betroffenen Organisationen keinerlei Gebühren auferlegt werden dürfen).

[2] Der derzeitige Text des georgischen Gesetzesentwurf hält fest, dass jeglicher Fehler sofort zu fixierten Bussen von 10’000 georgischen Lari (circa 3’500 €), 20’000 georgischen Lari (ungefähr 7’000 €), oder 25’000 georgischen Lari (circa 8’750 €) führen könnte, was für georgische Standards sehr signifikante Beträge sind. Zum Vergleich: gewöhnliche georgische Löhne belaufen sich regelmässig auf nur wenige Tausend oder gar Hundert Lari. Falls die Höhe dieser Bussen so gewollt und kein Versehen ist, wäre diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig, da das Aussprechen solch hoher Bussen unabhängig von der schwere des Vergehens im Konflikt mit dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz stehen.

[3] In der Tat haben Vertreter von georgischer Traum wiederholt bekräftigt, dass ihr Ziel nach wie vor sei, Georgien in die EU zu führen. Während dies von Kritikern regelmässig als leere Ablenkungstaktik dargestellt wird, die zum Ziel hätte, nicht die Unterstützung des grossen Teiles der georgischen Bevölkerung zu verlieren, die sich für eine EU-Integration ausspricht, weisen Aussagen von Mitgliedern des georgischen Traumes eher darauf hin, dass diese in der Tat überzeugt sind, dass die EU Georgien trotzt derzeitiger Kritik schliesslich aufnehmen wird. Der Vorsitzende des georgischen Parlaments hat dies gar mehr oder weniger explizit gesagt, in dem er darauf verwies, dass die EU Georgien in der Vergangenheit für den Erhalt des EU-Kandidatenstatus ebenfalls Bedingungen gestellt hatte, die Georgien dann nicht erfüllt hatte, und Georgien dann trotzdem den Kandidatenstatus erhielt. Dass die derzeitige Situation angesichts der harschen Kritik und Drohungen von Konsequenzen durch EU Beamte anders ist, mag zwar der Wahrheit entsprechen von Mitgliedern des georgischen Traumes aber nicht so realisiert zu werden.

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