KABUL, AFGHANISTAN
März 2023
Kürzliche Berichte über Lithium-Abbau in Afghanistan führten zu Vorhersagen eines „Lithium-Rausches“ in Afghanistan mit signifikanten Auswirkungen auf die weltweite Versorgungskette des raren Metalles. Dieses ist aufgrund seiner Verwendung in Batterien immer mehr gefragt. Eine genauere Betrachtung des Swiss Institute for Global Affairs (SIGA) zeigt jedoch, dass zahlreiche Hürden die Rentabilität von Lithium-Gewinnung aus afghanischem Gestein relativieren, wenn nicht gar in Frage stellen.
Taliban mit Steinen, die Lithium enthalten sollen, und in der ostafghanischen Provinz Nangarhar beschlagnahmt wurden (Januar 2023) (Quelle: Bakhtar News
(https://bakhtarnews.af/په-ننګرهار-او-کونړ-کې-د-۱۰۰۰-ټنو-لېتیم-ل/))
Beweis für Lithium-Abbau
Am 21. Januar 2023 gaben die islamistischen Taliban, die im August 2021 die Macht in Afghanistan übernommen haben, öffentlich bekannt, das Schmuggeln von 1’000 Tonnen von in Afghanistan abgebautem «Lithium» verhindert zu haben, indem sie die Steine beschlagnahmt und die Leute hinter dem Vorhaben, drei Afghanen und zwei Chinesen, verhaftet hätten. Dies war bemerkenswert, da es ein rarer, wenn nicht der erste Fall war, in dem ein Bericht über Lithium-Abbau in Afghanistan mit offenbaren physischen Beweisen und nicht nur vagen Gerüchte untermauert war.
Nachfolgende Kommentare und Analysen stellten diese angebliche Lithium-Beschlagnahmung und die Verhaftung von Chinesen sodann als Beweis dar, dass China den lukrativen Lithium-Abbau in Afghanistan übernimmt und behaupteten unter anderem, dass «Chinesen sich tief in Afghanistan eingraben» und dass Chinesen «mehr denn je involviert sind und hartnäckig versuchen, Afghanistans Mineralien legal und illegal abzubauen und aus dem Land zu transportieren».
Was solche Berichte unterliessen, war die Geschichte von potenziellem Lithium-Abbau in Afghanistan sowie die mannigfachen Probleme genauer zu untersuchen, die in Frage stellen, dass China gewaltige Mengen an Lithium aus Afghanistan extrahieren wird.
Neue alte Träume von Lithium-Reichtum
Grandiose Behauptungen, wonach in Afghanistans Boden schlummerndes Lithium nicht nur einen signifikanten Einfluss auf den Kurs des kriegsversehrten Landes am Hindukusch haben wird, sondern auch auf den Weltmarkt von Lithium-Karbonat und -Hydroxid, die Formen, in denen Lithium gehandelt wird und die aufgrund ihrer kritischen Rolle in Batterien von Geräten von Smartphones bis zu elektrischen Autos immer mehr gefragt sind, sind alles andere als neu.
So verwies The New York Times beispielsweise bereits im Jahre 2010, sprich vor über einem Jahrzehnt, in einem Artikel auf ein internes Memorandum des U.S.-amerikanischen Verteidigungsministeriums, welches ausführte, dass «Afghanistan das ‘Saudi Arabien für Lithium’ werden könnte». Derselbe Artikel zitierte auch U.S.-amerikanische Beamte, die aussagten, dass die Lithium-Vorkommen in Afghanistan so gigantisch seien, dass diese «die afghanische Wirtschaft fundamental ändern» und «Afghanistan in eines der wichtigsten Bergbauzentren der Welt transformieren könnten».
Während der genannte Artikel in The New York Times dies wie eine alles verändernde neue Entwicklung klingen liess, zeigt ein genauerer Blick, dass es eher wie ein altes Echo klang. Ein detaillierter Bericht eines U.S.-amerikanischen Geologen, welcher im Jahre 1983 — sprich 27 Jahre (!) vor dem erwähnten Artikel in The New York Times — erschien, verwies auf Informationen von sowjetischen geologischen Explorationen, die Lithium als eines von mehreren in Afghanistan vorkommenden «strategischen Mineralien» nannte, deren Abbau als «potenziell attraktiv» beschrieben wurde. Derselbe Bericht erwähnte im Allgemeinen ebenfalls, dass die damalige Sowjetunion «intensive Bergbau Operationen [in Afghanistan] empfahl», was heutigen Berichten über Chinas Interesse in Afghanistan äusserst ähnlich scheint.
Dass weder diese noch anderer während der letzten Jahrzehnte ähnlich gemachte Vorhersagen sich je materialisierten, versteht sich von selbst.
Alte Sowjetische Daten und kürzliche chinesische Explorationen
Während in den Himmel schiessende Lithium-Karbonat- und -Hydroxid-Preise sowie der Umstand, dass in Afghanistan zwar kein Friede herrscht, es aber auch zum ersten Mal in Jahrzehnten keinen landesweiten Krieg gibt, derzeit günstigere Bedingungen für Lithium-Abbau kreieren, ist die Situation nicht so einfach.
Zuallererst ist festzuhalten, dass Afghanistan zwar Lithium-Vorkommen hat, niemand jedoch viel über diese weiss. Selbst heutzutage basieren die meisten Informationen über Lithium und andere Mineralvorkommen in Afghanistan auf Daten von sowjetischen Explorationen aus den 1970ern und 80ern, die, obwohl extensiv, keiner umfänglichen geologischen Untersuchung Afghanistans gleichkamen.
Dies ist höchstrelevant, da der Umstand, dass es irgendwo Lithium-Vorkommen gibt, nicht unbedingt bedeutet, dass diese ökonomisch abgebaut werden können. Oder wie der Direktor von Benchmark Mineral Intelligence Simon Moores es im August 2021, einem der zahlreichen Male, in denen Berichte über Afghanistans Lithium-Potenzial auftauchten, humorvoll ausdrückte: «Afghanistan hat Lithium-Vorkommen. Aber mein Garten hat dies auch.»
Um das Potenzial eines profitablen Lithium-Abbaus zu eruieren, ist zunächst erforderlich zu identifizieren, in welcher Form genau Lithium vorkommt und wie dieses von einer solchen Quelle extrahiert werden kann, wobei alle Kosten von der Mine bis zum Markt berücksichtigt werden müssen. Ersteres ist umso wichtiger als Dr. Corby Anderson, Professor an der Colorado School of Mines und Experte im Gebiet der Metallgewinnung und Mineralverarbeitung, angab, dass «jede einzelne Lithium-Quelle — sei es Gestein, Salzsole, oder Sedimente — anders ist; jede Quelle hat einen anderen Lithium-Gehalt und auch eine Reihe anderer Faktoren variieren von Quelle zu Quelle.»
Kürzlich behauptete Vorhersagen eines angeblichen Lithium-Rausches in Afghanistan fokussieren sich auf lithiumhaltiges Gestein, welches in den ostafghanischen Provinzen Nuristan und Kunar abgebaut wird und woher auch die von den Taliban im Januar 2023 beschlagnahmten Steine stammen. (Dies gesagt gibt es auch Berichte über lithiumhaltige Solen an anderen Orten Afghanistans. Da diese Solen in den neusten Behauptungen über Lithium in Afghanistan nicht erwähnt wurden und bezüglich dieser gar noch mehr Unsicherheiten bestehen, werden diese hier nicht weiter behandelt.)
Das Gestein mit potenziell interessanten lithiumhaltigen Mineralien im Hindukusch ist Pegmatit, wobei Spodumen und Petalit die primären lithiumhaltigen Mineralien in den meisten afghanischen Pegmatiten sind. Daneben wurden von einigen Pegmatit-Vorkommen in Afghanistan auch hohe Konzentrationen von lithiumreichen Mineralien wie Lepidolit, Trilithionit, und Montebrasit berichtet, wie Dr. Christopher Wnuk, ein Bergbau-Berater mit Erfahrung in Afghanistan, SIGA erklärte. Abgesehen von lithiumhaltigen Mineralien weisen Afghanistans Pegmatite oft auch grössere Edelstein-Vorkommen auf. Solche Edelsteine sind gemäss Dr. Wnuk unter anderem Kunzite (in der Tat eine transparente pinke Form von Spodumen), Berylle wie Heliodor, Aquamarin, Morganit, Pezzottait, und Goshenit, sowie eine Reihe von Turmalinen.
Diese Edelsteine werden in Afghanistan seit Jahrtausenden abgebaut, wobei afghanische Mineure sich zwangsläufig auch durch lithiumhaltiges Gestein gegraben haben und weiterhin graben. «Wir nennen diese Steine tachtapad oder namak sang,» erklärte ein Afghane, der eine kleine Minenunternehmung in West-Nuristan hat, gegenüber SIGA. «Bis vor ungefähr einem Jahr oder so, haben die Mineure diese Steine weggeworfen, da diese an niemanden verkauft werden konnten. Dann kamen Chinesen, die verblüfft waren, das afghanische Mineure wertvolle [lithiumhaltige] Steine wegwerfen und stattdessen in ihren Augen uninteressante kleine Edelsteine suchen,» führte der Mann lachend weiter aus.
Dies war offenbar ein Hinweis auf Vertreter von mindestens fünf chinesischen Unternehmen, die im November 2021 nach Afghanistan gekommen sind, um vor Ort Inspektionen über das Potenzial von Lithium-Abbau durchzuführen, wie Global Times, eine mit dem chinesischen Staat verbundene Publikation, damals berichtete. SIGA konnte keine weiteren Informationen zu diesen fünf Unternehmen finden. Der Global Times Artikel erwähnte jedoch, dass das China Arab Economic Trade Promotion Committee in der afghanischen Hauptstadt Kabul den Besuch der Vertreter koordiniert habe.
Während der Besuch der Chinesen zum Kauf und Verkauf von zuvor verschmähten Pegmatit-Mineralien in Afghanistan führte, ist es wichtig festzuhalten, dass dies offenbar niemals richtig Zug gewann
und erfolgte Transaktionen scheinbar hauptsächlich spekulatives Anlegen von Vorräten von solchen Steinen war, falls es für diese in Zukunft einen lukrativen Markt geben sollte.
Standbild eines Videos von abgebauten, angeblich lithiumhaltigen Steinen in Afghanistan zum Beweis, dass angebotene Güter in der Tat existieren (unbekanntes Datum) (Quelle: afghanischer
Mineur)
Lithium-Export-Bann
Ein Grund für dies ist, dass die international nicht anerkannte Taliban-Regierung den Export von lithiumhaltigen Mineralien aus Afghanistan verboten hat. Nach diesem Bann gefragt erklärte Hamayoun Afghan, der Sprecher des Taliban Ministeriums für Minen und Petroleum, gegenüber SIGA, dass dieses Verbot kurz nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 erlassen worden sei. Zur Begründung führte Hamayoun Afghan weiter aus, dass «Lithium sehr wertvoll ist und eine wichtige Rolle in der wirtschaftlichen Entwicklung von Afghanistan spielen kann; daher hat das Islamische Emirat von Afghanistan [Eigenname der Taliban] entschieden, den Export von Lithium zu verbieten, bis einer Firma eine Konzession gegeben werden kann, die in Afghanistan nicht nur Lithium sucht und abbaut, sondern dieses auch innerhalb Afghanistans weiter verarbeiten kann.» Der Taliban-Sprecher erwähnte sogar die Möglichkeit, afghanischen Lithium zu verwenden, um in Afghanistan Batterien herzustellen und diese zu exportieren.
Ein solches Szenario erscheint jedoch weit hergeholt. «Afghanistan hat alle Rohstoffe, die man benötigt, um auf Lithium basierte Batterien herzustellen,» sagte Dr. Wnuk gegenüber SIGA. «Aber es fehlt im Land an der nötigen Infrastruktur und Expertise, um Lithium aus Gestein zu extrahieren, ganz zu schweigen von der Herstellung von Batterien,» fügte Dr. Wnuk hinzu. «Und die Schaffung der Bedingungen, um dies möglich zu machen, würde Hunderte Millionen, wenn nicht mehrere Milliarden U.S.$ kosten, die unter den gegebenen Umständen niemand investieren wird.»
Dass chinesische Unternehmen dies tun könnten, ist — trotz zahlreicher Medienberichte, die angebliche chinesische Geschäftsinteressen in Afghanistan unterstreichen — mehr als unwahrscheinlich, da chinesische Firmen bis dato keine nennenswerten Investitionen in Afghanistan gemacht haben. Im September 2022 zitierte Bloomberg Khan Jan Alokozay, den Vize-Präsidenten der afghanischen Handels- und Investitionskammer, der damals angegeben hatte, dass «es nicht zu einem [Rappen] Investition durch China in Afghanistan gekommen ist (…); viele [chinesische] Unternehmen sind gekommen, haben sich mit uns getroffen, Recherchen betrieben und sind dann gegangen und verschwunden.»
Dies gilt nach wie vor und trotz des Umstandes, dass die Taliban am 5. Januar 2023 einen multi-Millionen U.S.$ Vertrag mit der staatlichen chinesischen Firma Central Asia Petroleum and Gas Co (CAPEIC) über die Exploration von Erdöl im Amu Darya Bassin in Nord-Afghanistan unterzeichnet haben, da der angebliche Inhalt des genannten Vertrages höchst fragwürdig ist und chinesischen Firmen bereits in der Vergangenheit ähnliche Abkommen geschlossen und grosse Versprechen gemacht haben, die sich dann jedoch nie realisiert haben. [1]
Konfrontiert mit der tiefen, wenn überhaupt existierenden Wahrscheinlichkeit von Lithium-Extraktion und -Verarbeitung aus Mineralien innerhalb Afghanistans, geschweige denn der Etablierung einer Batterie-Fabrik, sagte Hamayoun Afghan SIGA, dass die Taliban nicht in Eile seien: «Wenn wir das nicht erreichen können, kann es unsere nächste Generation. Wir müssen unser Lithium nicht um jeden Preis jetzt abbauen.»
Dies gesagt scheint es möglich, dass die Taliban, falls Unternehmen versprechen würden, zumindest einen Teil von Profiten in Afghanistan zu investieren, irgendwann gewissen Firmen Konzessionen geben würden, lithiumhaltige Mineralien aus Afghanistan zu exportieren.
Selbst in einem solchen Szenario wären die Aussichten eines grossangelegten Lithium-Abbaus immer noch zweifelhaft.
Hohe Kosten
Ein Grund dafür ist, dass die Kosten und praktischen Schwierigkeiten von Lithium-Extraktion aus Gestein des Hindukusch die oft zitierte Angabe von Afghanistans geschätztem 1 Trillion U.S.$ Mineralien-Reichtum erheblich relativieren.
Zunächst ist festzuhalten, dass Lithium-Extraktion von Gestein selbst unter den besten Umständen signifikant kostspieliger ist als Lithium-Extraktion von Solen. «Deshalb ist die Extraktion aus Solen bevorzugt: weil es billiger ist,» erklärte Dr. Anderson SIGA. «Der Lithium-Gehalt von Solen ist nur ein Bruchteil desjenigen von Gestein, aber insgesamt ist es billiger Lithium aus Solen zu extrahieren, was auch nicht annähernd so hohe vorgängige Investitionen wie der Abbau von lithiumhaltigem Gestein benötigt.»
Hohe Abbaukosten von Gestein sind in Afghanistan sogar ein noch grösseres Problem. Die Gebiete mit Pegmatit-Minen in Nuristan und Teilen von Kunar sind, genau wie andere Orte mit potenziellen Pegmatit-Minen in Nordost-Afghanistan, kaum, wenn überhaupt erschlossen. Befahrbare Strassen bestehen zwar zu mehr entlegenen Winkeln, als oft angenommen wird (der SIGA-Mitarbeiter war selber in Fahrzeugen, die zu einigen der entlegensten Seitentäler in Nuristan gefahren sind), aber selbst wo dies der Fall ist, sind diese Strassen nicht asphaltierte Pisten die — unter anderem wegen dem schwierigen Terrain sowie Erosion, Fluten, und Erdrutschen — oft in solch schlechtem Zustand sind, dass nur sehr kleine Lastwagen sie benützen können und selbst dann regelmässig nur in einem buchstäblich schleichenden Tempo. Eingänge zu Minen sind oft gar noch schwieriger zu erreichen. Zumindest für einige Minen bestehen nicht nur keine Zufahrtsstrassen, sondern nicht einmal Pfade und Mineure müssen halb-kletternd steile Felswände traversieren, um den Eingang zu Minen zu erreichen. Daher sind Kosten für Bergbau in Afghanistan markant höher als an anderen Orten, wo Bergbau und Transport von Gestein einfacher und kosteneffizienter betrieben werden kann.
Der Weg zu einer Mine mit Pegmatiten in West-Nuristan, der mit einem Armierungseisen markiert ist, welches Mineure installiert haben, um beim Traversieren der Felswand im Hintergrund mehr Halt zu haben (unbekanntes Datum) (Quelle: afghanischer Mineur)
Ob sich der Abbau von lithiumhaltigem Gestein trotz hoher Extraktionskosten lohnt, hängt sodann offensichtlich vom spezifischen Lithium-Gehalt der abgebauten Mineralien ab, der von Quelle zu Quelle stark schwanken kann. Betreffend der 1’000 Tonnen Gestein, die von den Taliban im Januar 2023 beschlagnahmt worden sind, behauptete ein Taliban-Beamter, dass diese zwischen 7% und 30% Lithium enthalten würden — was schlichtweg unmöglich ist. Gemäss publizierten wissenschaftlichen Studien und obwohl genau Zahlen von Bericht zu Bericht leicht variieren, hat das hauptsächlich für Lithium abgebaute Mineral Spodumen einen theoretischen Lithium-Oxid-(Li2O)-Gehalt von ungefähr 8.1% und selbst in sehr viel selteneren Mineralien wie Zabuyelit liegt der theoretische Lithium-Gehalt bei maximal 18.75%, wobei Dr. Wnuk angab, dass kein abbaubares Vorkommen dieses Minerals bekannt ist. Wie angegeben handelt es sich dabei um theoretische Höchstwerte und Dr. Wnuk fügte an, dass «Spodumen, zum Beispiel, nicht immer dasselbe ist, sondern in vielen verschiedenen Variationen existiert, die meisten davon wertlos.» Mit Obigem konfrontiert räumte der Sprecher des Taliban Ministeriums für Minen ein, dass der ursprünglich von den Taliban angegeben Lithium-Gehalt nicht genau war und die Steine nur zwischen 7% und 15% Lithium enthalten würden. Trotz Nachfrage gab der Sprecher nicht an, um was für Mineralien es sich genau handelt.
Dies gesagt erklärte ein afghanischer Geschäftsmann, der versucht den Handel mit Lithium aus Afghanistan zu etablieren, im Gegensatz zu den Taliban viel glaubhafter, dass er und seine zwei chinesischen Partner Steinproben aus Afghanistan im Ausland testen lassen hätten und ihre beste Pegmatit-Probe einen Lithium-Oxid-Gehalt von 5% aufgewiesen habe. «Wir haben auch die ganze Kalkulation gemacht, für den Fall, dass unsere Bemühungen den Lithium-Export-Bann aufzuheben, fruchten sollten. Die Kosten für das Kaufen von Gestein von Minen — wir involvieren uns nicht im Abbau selbst — sowie dessen Transport via Pakistan nach China belaufen sich, inklusive aller Steuern und Gebühren, für uns auf etwa 2’500 U.S.$ pro Tonne,» führte der Geschäftsmann weiter aus. «Wir haben auch einen potenziellen Käufer, eine chinesische Firma in Guangzhou, die uns zwischen 3’000 und 3’200 U.S.$ pro Tonne Gestein mit 5% Lithium-Oxid-Gehalt zahlen würde,» fügte er hinzu. Dies würde in einem für die Bergbau-Industrie bescheidenen, aber in Anbetracht der schwierigen Umstände in Afghanistan vernünftigen Profit von 500 bis 700 U.S.$ pro Tonne resultieren.
Diese Marge ist jedoch potenziell problematisch. Während in die Höhe schiessende Lithium-Karbonat- und -Hydroxid-Preise zu deren Zenit im November 2022 das oben ausgeführte Geschäft für alle beteiligten Parteien profitabel gemacht hätte, haben sich die Dinge seither verändert. Seit Mitte November 2022 sind Lithium-Karbonat- und -Hydroxid-Preise auf ein Niveau gefallen, welches gemäss einer Überschlagsrechnung mit Preisen vom 31. März 2023 bedeuten würden, dass der potenzielle Profit des chinesischen Käufers so stark geschrumpft wäre, dass es fraglich wäre, ob die genannte chinesische Firma eine Tonne Gestein mit 5% Lithium-Oxid-Gehalt heutzutage noch für 3’000 bis 3’200 U.S.$ kaufen würde. Und da die Kosten, eine Tonne solches Gestein zu kaufen und nach China zu transportieren, sich auf 2’500 U.S.$ belaufen, könnten afghanische Verkäufer die Ware auch nicht viel billiger anbieten. [2]
Mögliche Lösungen?
Potenzielle Wege, den Abbau von lithiumhaltigem Gestein in Afghanistan trotz wieder fallender Lithium-Karbonat- und -Hydroxid-Preise ökonomisch zu machen, wären Gestein mit einem höheren Lithium-Gehalt abzubauen und/oder abgebautes Gestein zumindest rudimentär in Afghanistan zu verarbeiten, bevor es transportiert wird. Dies ist jedoch nicht einfach.
Mineralien mit höheren Lithium-Gehalt zu finden wäre selbst unter den besten Bedingungen schwierig, da der theoretische Lithium-Oxid-Gehalt der Mineralien, die in Afghanistan im grossen Masstab abgebaut werden können — Spodumen und Petalit — bestenfalls einige Prozent über dem genannten Beispiel von 5% Lithium-Oxid-Gehalt liegen. Selbst wenn profitablere Mineralien-Vorkommen existieren, würde das weitgehende Fehlen von ausgebildeten Geologen und der nötigen technischen Ausrüstung in Afghanistan das Finden solcher Vorkommen verkomplizieren. In diesem Zusammenhang erklärte der Geologe Peter Berg, dass lokalen Mineuren, selbst wenn sie ungebildet sind, die Grundlagen, nach was sie Ausschau halten müssen, verhältnismässig schnell gelehrt werden könnten. Dr. Wnuk gab jedoch zu bedenken, dass die Effektivität, dies Einheimischen beizubringen, beschränkt sei.
Eine andere Möglichkeit wäre, lithiumhaltiges Gestein zumindest bis zu einem gewissen Grade innerhalb von Afghanistan und vor dem Transport zu verarbeiten und vorzusortieren, was Transportkosten senken könnte, da bedeutend weniger wertloses Gestein transportiert werden würde. «Falls der Handel mit Lithium aus Afghanistan richtig anfangen sollte, würden wir überlegen, eine kleine Fabrik zu bauen, in der lithiumhaltiges Gestein zerkleinert und vorsortiert werden könnte,» erwähnte der genannte afghanische Geschäftsmann. «Das Zerkleinern und Durchsuchen von abgebautem Gestein nach lithiumhaltigen Teilen per Hand wäre auch eine Option,» erklärte Herr Berg, der anfügte, dass Ähnliches in Schweden bis in die 1940er Jahre gemacht worden sei. Solche Schritte würden zumindest teilweise auch die Taliban-Forderung nach Verarbeitung innerhalb Afghanistans ansprechen.
Selbst wenn dies zumindest teilweise machbar sein und Lithium-Karbonat-/-Hydroxid-Preise wieder steigen sollten, würde alles immer noch von der Aufhebung des Lihtium-Export-Bannes durch die Taliban abhängen. Und in diesem Zusammenhang gibt es offenbar ein anderes Problem. «Die Taliban haben den Export von lithiumhaltigen Mineralien verboten, da sie fälschlicherweise denken, übers Ohr gehauen zu werden. Sie sehen, dass eine Tonne Lithium-Karbonat oder -Hydroxid auf dem Weltmarkt für Zehntausende von U.S.$ verkauft wird und glauben, dass eine Tonne des Gesteins, das sie beschlagnahmt haben, ebenfalls ein Vermögen wert ist, wobei sie nicht verstehen, wie teuer es ist, die wenigen Prozent Lithium aus diesen Steinen zu extrahieren,» sagte der afghanische Geschäftsmann, der versucht den Handel mit afghanischem Lithium zu etablieren, gegenüber SIGA.
Zum Zeitpunkt, in dem dieser Bericht erstellt worden ist, haben die Bemühungen des afghanischen Geschäftsmannes, dies den Taliban zu erklären, keine Resultate gezeitigt und blieben dornenreich. Um fair zu sein ist anzumerken, dass gemäss Dr. Wnuk ähnliche Probleme auch unter der ehemaligen afghanischen Republik bestanden.
Kein grosses Geschäft für den Weltmarkt, aber Möglichkeit für Einheimische
Angesichts all des Gesagten ist die oft gehört Behauptung, das Afghanistan ein El Dorado für Lithium werden könnte zumindest in voraussehbarer Zukunft weit hergeholt, um dies gelinde zu sagen. Alle zitierten Experten sowie eine detaillierte im August 2022 publizierte Analyse des Brookings Instituts stimmen ebenfalls zu, dass Lithium-Abbau in Afghanistan nicht das grosse Geschäft ist, als das es oft dargestellt wird. Dies gilt umso mehr, als es sicherer und vorhersagbarere Optionen für Lithium-Abbau aus bisher nicht genutzten Quellen an Orten wie Bolivien, Chile, Argentinien, und Mexiko gibt, wie der Bericht des Brooking Instituts unterstreicht.
Das bedeutet jedoch nicht, dass Lithium-Abbau in Afghanistan ein komplettes Luftschloss bleiben muss. «Bergbau in kleinem Masstab ist, selbst wenn dessen Profite für globale Geschäftsstandards vernachlässigbar sind, für Einheimische in Orten wie Nuristan, wo kaum andere Einkommensquellen existieren, von grosser Wichtigkeit,» erklärte der Geologe Berg. «Das gilt auch für Lithium. Wenn Afghanen ein paar Tonnen lithiumhaltiges Gestein für einen bescheidenen Profit verkaufen können, wäre dies — selbst wenn Mittelsmänner den Löwenanteil erhalten — eine enorme Möglichkeit für Nuristanis und könnte deren Lebensunterhalt in den kommenden Jahrzehnten signifikant verbessern.»
Dr. Wnuk stimmte dem zu: «Während die Umstände es illusorisch machen, dass grosse Investoren an Lithium-Abbau in Afghanistan interessiert sind, ist es möglich, dass einige Leute in diese Nische springen und versuchen, in kleinen Geschäften etwas Geld zu machen — und dabei vielleicht erfolgreich sind.» Die von den Taliban im Januar 2023 beschlagnahmten, angeblich lithiumhaltigen Steine sowie die Bemühungen des zitierten afghanischen Geschäftsmannes und seiner Partner sind ein Zeichen für solche Versuche, die Dr. Wnuk als «sehr, sehr marginale Operationen von einigen Mittelsmänner, die Profite suchen» beschrieb.
Die Verhaftungen im Zusammenhang mit dem im Januar 2023 beschlagnahmten abgebauten Gestein sollte jedoch auch als Warnung angesehen werden, dass die Umstände in Afghanistan regelmässig, wenn auch nicht ausschliesslich, zwielichtige Geschäftsmänner anlocken, was wiederum viele Handelsgeschäfte in Frage stellt.
Insgesamt wäre Lithium-Abbau in Afghanistan daher selbst im aufgrund der mannigfaltigen Probleme unwahrscheinlichen besten Szenario nur für eine verhältnismässig kleine Gruppe von involvierten Leuten relevant und allermindestens in voraussehbarer Zukunft kein grosses, den Weltmarkt für Lithium veränderndes Geschäft.
Franz J. Marty
[1] Die höchst fragwürdigen Aspekte des genannten Vertrages, über dessen Inhalt scheinbar nur Informationen von Taliban-Seite verfügbar ist, sind beispielsweise:
• dass das Amu Darya Bassin mehr aufgrund seiner Gas-Reserven — nicht Erdöl — interessant ist;
• dass CAPEIC, soweit bestimmt werden konnte, nicht im Geschäft ist, ganze Erdöl-Explorationen mit eigenen Investitionen zu etablieren; und
• dass die Kosten einer Raffinerie, die CAPEIC angeblich versprochen hat in Afghanistan zu bauen, offenbar die im Vertrag versprochenen Investitionen signifikant übersteigen.
(Für Einzelheiten zu den erwähnten Punkten siehe hier und hier).
Darüberhinaus ist anzumerken, dass eine andere staatliche chinesische Firma, die mit CAPEIC verbunden ist, bereits im Jahre 2011 mit der damaligen afghanischen Republik einen Vertrag über dasselbe Öl-Feld abschloss — und dann nie etwas Nennenswertes passiert ist.
Ähnliches gilt für einen anderen Grossvertrag über die Ausbeutung eines Kupfervorkommens in Mes Aynak südlich der afghanischen Hauptstadt Kabul, der im Jahre 2008 zwischen der damaligen afghanischen Republik und einem chinesischen Konsortium abgeschlossen worden war und Berichten zufolge derzeit mit den Taliban neu verhandelt wird. Auch in diesem Vertrag versprach die chinesische Seite unter anderem den Bau von Infrastruktur in einem Ausmass, das die wirtschaftliche Machbarkeit solcher chinesischen Zusicherungen und damit den ganzen Vertrag ernsthaft in Frage stellte. Auch im Fall der Ausbeutung des Kupfervorkommens in Mes Aynak ist nie etwas Signifikantes geschehen.
[2] Von ungefähr Januar 2021 an sind Lithium-Karbonat-Preise exponentiell gestiegen, namentlich von 7.15 U.S.$ pro Kilogramm Lithium-Karbonat am 1. Januar 2021 zu einem Zenit von 84.39 U.S.$ am 16. November 2022, sprich fast 12 Mal mehr als am 1. Januar 2021. Seitdem sind Lithium-Karbonat-Preise jedoch stetig und tief gefallen, per 31. März 2023 auf nur mehr 34.40 U.S.$.
Unter der Annahme einer 100% Extraktionsrate von Lithium aus Gestein mit einem 5% Lithium-Oxid-Gehalt könnten aus einer Tonne Gestein 50 kg Lithium-Oxid (Li2O) gewonnen werden (die effektive Extraktionsrate hängt gemäss einem wissenschaftlichen Bericht vom Mineral und der Extraktionsmethode ab, ist aber regelmässig 90% und höher und kann gar 98.9% erreichen). Lithium-Oxid ist jedoch kein handelbares Gut weshalb die 50 kg Lithium-Oxid in Realität in der Form von 123.65 kg Lithium-Karbonat (Li2CO3) gehandelt würden (für den Umwandlungsfaktor von 2.473 zwischen Lithium-Oxid und Lithium-Karbonat siehe hier).
Wenn die chinesische Firma 123.65 kg Lithium-Karbonat zum Höchstpreis am 16. November 2022 verkauft hätte, hätte sie einen Umsatz von 10’434.58 U.S.$ generiert, der den Einkaufspreis von 3’000 bis 3’200 U.S.$ pro Tonne lithiumhaltigen Gesteins sowie die Kosten der Extraktion des Lithium-Karbonat aus diesem Gestein hätte decken können und einen guten Profit übrig gelassen hätte. (Extraktionskosten konnten nicht bestimmt werden, da diese von der gewählten Methode und einer Reihe von Faktoren abhängen, die aufgrund aller beschriebenen Unsicherheiten, nicht bekannt sind. Während Experten die Extraktion als kompliziert und teuer beschrieben, bemerkte Dr. Wnuk, dass chinesische Firmen perfekt positioniert seien, um Lithium-Karbonat zu tiefen Kosten zu extrahieren, da einige chinesische Produzenten sich nicht immer an Standards halten würden, um negative ökologische Folgen des Extraktionsprozesses zu vermeiden, welchen Dr. Wnuk als «sehr dreckig» beschrieb.)
Dies gesagt hätte die chinesische Firma, wenn sie 123.65 kg Lithium-Karbonat zum Preis am 31. März 2023 verkauft hätte, aufgrund der gefallenen Preise nur einen Umsatz von 4’253.56 U.S.$ erwirtschaftet, sprich ungefähr 60% (!) weniger als am 16. November 2022. Ob dieser Umsatz den offerierten Einkaufspreise von mindestens 3’000 U.S.$ pro Tonne lithiumhaltigen Gesteins sowie die Extraktionskosten immer noch decken würde, konnte nicht bestimmt werden. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, wäre es aber ein zig Mal weniger profitables Geschäft, weshalb es ernsthaft fraglich ist, ob das beschriebene Geschäft im heutigen Zeitpunkt noch zu den genannten Preisen abgeschlossen werden würde.
Solche Probleme bestünden auch, wenn die chinesische Firma das Lithium als Lithium-Hydroxid extrahieren und verkaufen sollte, da die Entwicklung von Lithium-Hydroxid- und -Karbonat-Preisen ähnlich ist.
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