«Lithium und Seltene Erden werden bald wichtiger sein als Öl und Gas.»
Ursula von der Leyen, September 2022 [1]
Seit der industriellen Revolution stieg der Verbrauch an Rohstoffen rasant an. Einerseits durch die wachsende Weltbevölkerung, andererseits durch die stetige Modernisierung. Auch der Energiebedarf ist damit angewachsen und er wird weiter zunehmen, da insbesondere Digitalisierung und Dekarbonisierung immer mehr Energie benötigen. Zur Senkung von CO2-Emissionen werden neue Technologien und Alternativen zu den aktuellen Energieträgern wie Erdöl, Kohle und Gas gebraucht. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Auswirkungen diese Trends auf den Rohstoffbedarf und damit auf die Versorgungsicherheit haben werden. Es gilt zu antizipieren, um strategisch vorsorgen zu können.
Neue Industriemetalle
Erneuerbare Energien wie Photovoltaik, Windenergie und Wasserkraft benötigen beispielsweise in ihrer Produktion viele verschiedene Rohstoffe wie etwa Silizium, Gallium, Indium, Seltenerd-Magnete oder Kobalt. Lithium und Nickel braucht es etwa für grosse Batterien. [2] Nicht nur die Energieproduktion, sondern auch die weitere Elektrifizierung, beispielsweise von Autos, verlangt nach neuen Rohstoffen im Gegensatz zu konventionellen Autos (vgl. Grafik). Im Bereich der Kommunikations- und Unterhaltungselektronik geht es insbesondere für die Halbleiter- und Chipindustrie beispielsweise auch um Magnesium, Titanium, Wolfram, Mangan, Tantal, Zinn, Rhenium, Iridium und Palladium. [3] Bereits 2014 beschreibt Keupp, dass diese neue Industriemetalle unverzichtbar seien für technologie- und wertschöpfungsintensive Produktionsverfahren. [4]
Abbildung 1: Vergleich Ressourcen Elektroauto und konventionelles Auto, sowie zwischen erneuerbaren Energien und anderen Energieformen. (IEA 2021)
Grosse neue Abhängigkeiten
Der Abbau dieser Ressourcen findet vor allem im Globalen Süden statt, dies grösstenteils unter schwierigen Arbeitsbedingungen und mit negativen Auswirkungen für die Umwelt. Heute ist zudem China für rund 90% der Verarbeitung von Seltenen Erden verantwortlich. Die Welt ist abhängig von Chinas Produktion. [5] Und es besteht der Trend, dass China im Ressourcenabbau die dominante Macht bleibt. [6] Strategisch könnte damit zusammenhängend auch der Bereich Tiefseebergbau und der Einfluss in Ozeanien im Südpazifik relevant werden. Die geostrategische Bedeutung von kritischen Mineralien dürfte insbesondere durch die starke Konzentration der Produktion solcher Rohstoffe in naher Zukunft noch weiter zunehmen. [7]
Strategische Vorsorge
Eine Strategie zur nachhaltigeren Gestaltung der Wirtschaft und des Abbaus von Ressourcen ist die Idee des Ressourcenkreislaufs. Die Schweiz verfügt selbst kaum über wertvolle Bodenressourcen, jedoch besteht grosses Potential in der «urbanen Mine»: Rohstoffe könnten aus nicht mehr gebrauchten Elektroteilen zurückgewonnen werden. Die Kreislaufwirtschaft setzt aber nicht nur auf Recycling, sondern bietet auch Möglichkeiten wie Reparaturen oder Leasing-Modelle. Die Versorgungssicherheit würde durch diese einheimische Rohstoffgewinnung erhöht und die Abhängigkeit von neuen Rohstoffen könnte reduziert werden. Dies würde sich auch positiv auf den ökologischen Fussabdruck der Endprodukte auswirken sowie die negativen Auswirkungen der Rohstoffproduktion etwas reduzieren. [8]
Die verstärkte einheimische Rohstoffgewinnung reicht jedoch keinesfalls aus, um die Versorgungssicherheit zu garantieren. Im Bereich der globalen Produktions- und Lieferketten bleiben die Staaten global abhängig voneinander. Um trotzdem regionale Abhängigkeiten zu vermeiden, wie sie zum Beispiel durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine offensichtlich wurden, müsste eine grössere geographische Diversität des Rohstoffimportes angestrebt werden. Dadurch würde sich auch das Risiko von Lieferengpässen reduzieren. [9] Auch Stocker argumentiert, dass die Schweiz auf ein multilaterales Handelssystem und eine Diversifizierung der Handelspartner angewiesen sei, um den Zugang zu kritischen Rohstoffen auch in Krisenzeiten zu sichern. Dazu sind auch gute Beziehungen innerhalb Europas von Vorteil, um die Produktion kritischer Rohstoffe ausbauen zu können. [10]
Forschung und Innovation
Um die Kreislaufwirtschaft und die Versorgungssicherheit der Zukunft zu fördern, könnte die Schweiz strategische Grundlagenforschung betreiben und angewandte Innovation fördern - sowohl auf nationaler Ebene als auch mit internationalen Partnern, um die Technologieentwicklung zu prägen. Um die Forschungsergebnisse wiederum unternehmerisch umzusetzen, braucht es eine engere und gezielte Kooperation von Hochschulen und Privatwirtschaft. Neue Verfahren des Rohstoffrecyclings und deren Weiterverarbeitung würde auch die Abhängigkeit von importierten Halbfertigprodukten verringern. Des Weiteren schlägt Keupp die visionäre Idee vor, dass die Schweiz sich als Ziel setzen könnte, «Nettoimporteur von Elektronikschrott zu werden, um einen positiven Materialflusssaldo für alle strategisch wichtigen Industriemetalle zu erzielen». [11]
Wasser als kritischer Rohstoff der Zukunft
Zu den kritischen Rohstoffen könnte man neben den bereits genannten kritischen Metallen, auch Wasser und - durch die Digitalisierung immer wie wichtiger - Daten zählen. Primäre metallische Rohstoffe gibt es in der Schweiz kaum, dafür gilt sie als «Wasserschloss Europas». Denn rund 6% der europäischen Süsswasservorkommen befinden sich in der Schweiz und es entspringen grosse Flüsse wie der Rhein oder die Rhone in den Schweizer Alpen. [12] Auch für die Energieproduktion hat die Wasserkraft mit rund 57% eine grosse Relevanz und ist die wichtigste Quelle erneuerbarer Energien in der Schweiz. [13] Wasser als Ressource führt jedoch auch weltweit zu Konflikten. Etwa 40% der Weltbevölkerung lebt an Flüssen, welche eine Grenze zwischen Staaten bilden. Wasserverlust und Trockenheit werden jedoch auch in Europa und der Schweiz zu einem relevanten und womöglich auch rasch zu einem emotionalen Thema, weil es um fundamentale Aspekte des Lebens geht.
Daten, das neue Gold
Eine andere, nicht physische Art von Ressource, sind Daten. Sie werden auch als der «Rohstoff des digitalen Zeitalters» bezeichnet. Man spricht heute von Datenökonomie. Daten werden in diversen Aspekten wie Konsum, Kommunikation, Gesundheit, Mobilität etc. benötigt. Durch ihre Verarbeitung und Anwendung erlangen sie an Wert. Ihre hohe Relevanz kann analog zum Abbau der bereits besprochenen Rohstoffe zu Ausbeutung, Ungleichheiten und gesellschaftlicher Macht führen. Jedoch auch zu geopolitischen Abhängigkeiten. Digital kommt es beispielsweise zu intersektioneller Diskriminierung durch Gesichtserkennungssoftwares, die das Geschlecht von dunkelhäutigen Frauen viel öfters falsch klassifizieren, als von hellhäutigen Männern. Neue (alte) Machtungleichheiten entstehen, und es stellen sich Fragen wer die Kontrolle über Daten hat, wer davon profitiert und wer diskriminiert oder ausgebeutet wird. [14] Die Frage ist, ob Staaten, die die Privatsphäre weniger achten, zukünftig im Vorteil sein könnten, etwa bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz, weil sie über viel mehr Daten verfügen.
Antizipation als Schlüsselkompetenz
Durch die Corona-Pandemie sowie den Krieg in der Ukraine wurde zumindest kurzfristig ein Bewusstsein in Europa gestärkt, wovon viele Regionen der Welt tagtäglich betroffen sind: die Abhängigkeit von Ressourcen und dessen direkte Auswirkungen auf das alltägliche private Leben, sowie die geopolitischen Strategien unterschiedlicher Regierungen. Um für zukünftige Entwicklungen besser gewappnet zu sein, ist aber eine strategische Antizipation wichtig, um die Abhängigkeiten, Chancen und Risiken vorherzustehen und clever vorzusorgen. Bei den für die weitere Digitalisierung und Dekarbonisierung neu benötigten Rohstoffen ist es daher wichtig, diese unter umweltschonenden Bedingungen abzubauen, andererseits nicht erneut von einem Staat oder Region abhängig zu sein. Aktuell ist dies der Fall, da China den grössten Anteil bei der Verarbeitung kritischer Ressourcen einnimmt und auch global gesehen schon in vielen Regionen präsent ist, wo beispielsweise Vorkommen von Seltenen Erden und neue Industriemetallen erwartet werden. Möglichkeiten, diese Abhängigkeit zu verringern, sind die strategische Stärkung der Kreislaufwirtschaft mit der Strategie der «urbanen Mine», der Abbau von kritischen Ressourcen auf dem europäischen Kontinent und die geographische Diversifizierung.
Svenja Jakob und Urs Vögeli
Literaturverzeichnis
Bartu, Friedmann (2012): Wasserschloss Schweiz. In: NZZ, https://www.nzz.ch/wasserschloss-schweiz-ld.654173. (Zugriff am 03.03.2023).
BFE Bundesamt für Energie (2022): Wasserkraft.
https://www.bfe.admin.ch/bfe/de/home/versorgung/erneuerbare-energien/wasserkraft.html#context-sidebar. (Zugriff am 03.03.2023).
Böhler, Nikki/Klauser, Nathalie (2022): Daten spalten unsere Gesellschaft, ähnlich wie Rohstoffe. In: swissfuture Magazin für Zukünfte 02/22, Rohstoffe, 27-34.
IEA (2021): The Role of Critical Minerals in Clean Energy Transitions. Paris: International Energy Agency. https://www.iea.org/reports/the-role-of-critical-minerals-in-clean-energy-transitions, License: CC BY 4.0. (Zugriff am 03.03.2023).
IEA (2023): Energy Technology Perspectives 2023. Paris: International Energy Agency. https://www.iea.org/reports/energy-technology-perspectives-2023/mining-and-materials-production#abstract. (Zugriff am 03.03.2023).
Hool, Alessandra/Tercero, Luis/Wäger, Patrick (2022): Kritische Rohstoffe: ein Thema für die Schweiz der Zukunft. In: swissfuture Magazin für Zukünfte 02/22, Rohstoffe, 7-16.
Kamasa, Julian (2023a): Keine Klimaneutralität ohne kritische Rohstoffe. In: NZZ am Sonntag, https://magazin.nzz.ch/nzz-am-sonntag/meinungen/kamasa-keine-klimaneutralitaet-ohne-kritische-rohstoffe-ld.1727813?reduced=true. (Zugriff am 03.03.2023).
Keupp, Marcus M. (2014): Die Versorgung der Schweiz mit neuen Industriemetallen. In: ASMZ 08/2014, 44-45.
Stocker, Simon (2023): Konzentration kritischer Mineralien. Avenir Suisse Blog. https://www.avenir-suisse.ch/kritische-mineralien-eine-energiewende-kommt-selten-allein/. (Zugriff am 03.03.2023).
Von der Leyen, Ursula (2022): Rede von Präsidentin von der Leyen zur Lage der Union 2022. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/speech_22_5493 . (Zugriff am 03.03.2023).
[1] Von der Leyen (2022)
[2] Hool et al. (2022)
[3] Ebd. und Keupp (2014)
[4] Keupp (2014)
[5] Stocker (2023)
[6] IEA (2023)
[7] Stocker (2023) und auch Keupp (2014)
[8] Hool et al. (2022)
[9] IEA (2023)
[10] Kamasa (2023)
[11] Keupp (2014)
[12] Bartu (2012)
[13] BFE (2022)
[14] Böhler/Klauser (2022)
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