Nach fast fünf Wochen Krieg in der Ukraine zeichnen sich auch neue Faltlinien in der weltpolitischen Ordnung ab. Wie so oft schaffen Akteure in Zeiten extremer medialer Fokussierung in anderen Weltregionen und bei anderen Themen Fakten. Das Swiss Institute for Global Affairs (SIGA) fasst die geostrategischen Entwicklungen in Chinas Umfeld zusammen, die schon länger in Gange sind, aber nun noch unbemerkter vorangetrieben werden können. Dass vor allem die USA auf solche Entwicklungen hinweisen, kann jedoch auch als amerikanischer Spin gelesen werden, die Bedrohung durch Peking sichtbarer zu machen (vgl. Spin Politics).
Chinas Positionierungen:
1. Pangong Lake Brücke – Line of Actual Control
China verstärkt seit einiger Zeit ihre militärische Präsenz an der Grenze zu Indien. An der Line of Actual Control (LAC) hat die People’s Liberation Army (PLA) seit Ende 2021 grosse Truppenkontingente verschoben (ca. 60'000 Armeeangehörige) sowie in ihre Infrastrukturen investiert. Indien hat ebenfalls ihre militärische und logistische Präsenz in die Region verstärkt. Mit dem Bau einer Brücke über den 4'238 m.ü.M. gelegenen Pangong Lake erschliesst Peking eine höchst unwirtliche Region. Die PLA schafft damit strategisch einen vereinfachten Zugang an die LAC für Militär und Material. Satellitenbilder vom 16. Januar 2022 zeigen den Fortschritt der Arbeiten der 400 Meter langen Brücke.
Diese Verstärkung ist im Nachgang des militärischen Zwischenfalls vor über 18 Monaten zwischen den Atommächten China und Indien zu lesen. Die Brücke liegt exakt auf der Grenze zu einem umstrittenen Gebiet, welches von Indien beansprucht wird (Aksai Chin). Mit dem Bau der Brücke schafft China gebaute Fakten und kommuniziert damit, dass sie gekommen sind, um zu bleiben. Der Besuch des Aussenministers China Wang Yi vom 26. März 2022 in Neu-Delhi hat nicht zur Beruhigung beitragen. Die Region um den Pangong Tso ist von China vor über 60 Jahren illegal besetzt worden, so das Narrativ Indiens. 1962 war diese Region Kampfgebiet zwischen Indien und China, just zu einer Zeit als der Kalte Krieg mit der Schweinebucht-Invasion und die Kubakrise in eine heisse Phase trat und die Welt von diesen Grenzverschiebungen kaum Kenntnis nahm. Dies könnte sich jetzt vielleicht wiederholen, oder China schafft ein diplomatisches Meisterstück einer zweckdienlichen Allianz zwischen Russland, China und Indien. China wird den BRICS-Gipfel (2022) sowie Shanghai Cooperation Organization-Gipfel (2023) und Indien den G20-Gipfel (2023) austragen – beste Chancen für ein «Asian Moment» und eine weitere Verschiebung einer neuen Machtpolitik in Richtung Indopazifik.
2. Hafen von Bata
Nach einem Beitrag im Wall Street Journal scheint China einen zweiten militärischen Stützpunkt im Ausland aufzubauen. In Äquatorialguinea – vermutlich im Hafen von Bata – soll nach Djibouti eine weitere chinesische Basis geschaffen werden; diesmal mit Zugang zum atlantischen Ozean. Dies schafft neue Möglichkeiten für die People’s Liberation Army Navy (PLAN) für Logistik und Nachschub jenseits des Pazifiks. Zudem gehen strategisch wichtige Unterseekabeln von Huawei, die auch nach Europa führen, durch diese Gewässer. In internationalen Medien gibt es zahlreiche Spekulationen zu diesen Entwicklungen, nur muss man ebenfalls festhalten, dass das US Department of Defence (DoD) 2021 auf über 13 mögliche Länder hinwies, welche China für einen nächsten Hafen gewinnen könnte. Damals wurde eine Basis in Namibia noch als wahrscheinlicher angesehen.
3. Salomon-Inseln
Des Weiteren bestätigen sich in den letzten Wochen Gerüchte über ein Set von Abkommen zwischen China und den Salomon-Inseln in Melanesien. Dabei geht es um Investitionen aber auch um Sicherheitspolitik. Mit den Abkommen könnte im Nordwesten von Australien eine neue chinesische Militärbasis errichtet werden, so die Befürchtungen Australiens und Neuseelands. Diese Entwicklungen können im Rahmen einer stetigen chinesischen Strategie zur Errichtung einer weiteren Perlenkette in Ozeanien gelesen werden, die geografisch einen Keil zwischen den amerikanischen und australisch-neuseeländischen Teil des Südpazifiks treibt. Die strategische AUKUS-Partnerschaft zwischen Australien, Grossbritannien und USA wird damit weiter herausgefordert. Nebenbei geht es auch um mögliche neue Rohstoffvorkommen in Zusammenhang mit Tiefseebergbau.
4. Militarisierung des Südchinesischen Meers
Mehr Flug- und Schiffsabwehrraketen sowie eine Aufrüstung mit Kampffliegern bei drei von acht schon seit längerem aufgeschütteten Atollen (Mischief Reef, Subi Reef und Fiery Cross) bei den Spratly-Inseln schafft verstärkt Spannungen. Damit kommt es zu einem weiteren militärischen Ausbau der künstlichen Inseln im Südchinesischen Meer. Diese Normalisierungsstrategie, die nicht einmal eine diplomatische Protestnote auslöste, stärkt die Position Chinas international und vor allem regional. China sieht es als seine historische Verantwortung diese Gewässer vor Fremden zu schützen, gerade dann, wenn die QUAD-Allianz (USA, Indien, Japan und Australien) China bedroht. Die Rhetorik ist klar, die QUAD- und AUKUS-Allianzen sind für China das, was die NATO für Russland ist.
Im Schatten des Ukraine-Krieges schafft China Fakten, die vornehmlich ihre militärische und geostrategische Stärke betonen. Damit setzen sie ein Zeichen, dass geopolitisch neue Allianzen (Indien, China und Russland) möglich sind. Diese massive Aufrüstung ist ein Symbol gerichtet gegen die Pivot to Asia Strategie der Amerikaner. Russland provoziert mit dem Krieg in der Ukraine diese neuen Optionen (vgl. Spillover-Effekte).