BAHRAMTSCHA, HELMAND PROVINZ
MIMLA, NANGARHAR PROVINZ
Dezember 2021 / Januar 2022
Afghanistan ist seit Jahren die grösste Quelle von illegalem Opium und Heroin weltweit und ist seit kurzem auch zu einem signifikanten Produzenten von Methamphetaminen geworden. Während die neue Taliban-Regierung im Allgemeinen versichert, die Produktion von und den Handel mit Drogen in Afghanistan verboten zu haben, zeigen Besuche des Swiss Institute for Global Affairs (SIGA) eines berüchtigten Drogen-Basars, dessen Aktivität eingebrochen ist, sowie von neu etablierten Heroin-‘Labors’ in anderen Teilen des Landes ein komplexeres Bild.
Ein Talib in einem Komplex in Bahramtscha, Helmand Provinz, Afghanistan, der gemäss Taliban eine Drogenproduktionsstätte war und von den Taliban zwangsweise geschlossen wurde (Franz J. Marty, 24. Dezember 2021)
Drogen in Afghanistan & Offizielle Taliban-Position
Seit Jahrzehnten ist Afghanistan für seine Felder von Schlafmohnblumen bekannt, deren Knollen angeritzt und abgeschabt werden, um Opium zu ernten. Die Opiumpaste, zunächst weiss oder rosa, wird braun, wenn sie oxidiert und hat einen betäubenden Effekt, wenn sie geraucht oder anders eingenommen wird. Opium wird sodann zu simplen Verarbeitungsstätten transportiert — von Afghanen einfach ‘Korchonaho’ (‘Arbeitshäuser’ oder ‘Fabriken’ in Dari, einer von Afghanistans offiziellen Sprachen) und von Ausländern irreführend ‘Laboratorien’ genannt — und dort zu Morphin- und dann Heroin-Basis raffiniert. Diese Drogen erreichen sodann nicht nur Abhängige in Nachbarstaaten, sondern auch im Nahen Osten, Europa, Afrika, und Teilen von Nord-Amerika.
Ein Mann in einem Schlafmohnfeld in Mazor Dara, Nurgal Distrikt, Kunar Provinz, Afghanistan (Franz J. Marty, 2. Mai 2017)
Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen und Kriminalität (United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC)) schätzte, dass im Jahre 2020 ungefähr 85% des weltweiten illegalen Opiums und Heroins von Schlafmohnfeldern am Fusse des Hindukusch stammten. Und Afghanistan besetzte seit vielen Jahren ähnlich prominente Plätze. Während Zahlen der Vereinten Nationen teilweise fragwürdig sind und nur mit Vorsicht genossen werden sollten, besteht kein Zweifel, dass Afghanistan weltweit die grösste Quelle von illegalem Opium und Heroin ist.
Seit einigen Jahren wird in Afghanistan auch ein Boom in der Herstellung von Methamphetaminen beobachtet, da Einheimische herausgefunden haben, dass eine Schlüsselzutat, Ephedrine, von einem Busch extrahiert werden kann, der wild und zahlreich in Afghanistans Bergen wächst.
Dementsprechend und da die Prävention von Drogenproduktion und -handel — neben Migration und Anti-Terrorbemühungen — eines der Hauptinteressen der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan ist, werden die Taliban betreffend ihrer Drogenpolitik vermehrt unter die Lupe genommen. Wie bezüglich vieler anderer Dinge haben die Taliban jedoch, selbst fast sechs Monate nachdem sie die vorherige westlich-unterstützte afghanische Republik gestürzt haben und an die Macht in Afghanistan zurückgekehrt sind, bisher keine klare Drogenpolitik angekündigt.
Offiziell haben die Taliban, nur Tage nachdem sie Mitte August 2021 in die afghanische Hauptstadt Kabul einmarschiert sind, versichert, Drogenproduktion und -handle zu unterbinden. Später haben die Taliban auch angekündigt, die Anti-Drogen Polizei vollständig besetzt und ein spezielle Gerichtsabteilung zur Behandlung von Drogendelikten etabliert zu haben; zudem haben sie auch die Beschlagnahmung von Drogen unterstrichen.
In Praxis ist die Taliban-Position bezüglich Drogen jedoch alles andere als klar. In einem Interview mit der BBC gab Taliban-Sprecher Bilal Karimi beispielsweise zu, dass die Taliban «den Leuten dies [Einkommen aus der Drogenproduktion] nicht wegnehmen können ohne ihnen andere [legale] Möglichkeiten bieten zu können.» Darüber hinaus zeigen exklusive Recherchen von SIGA an zwei Orten in Afghanistan — Bahramtscha, einem Drogen-Basar in der südlichen Provinz Helmand; und Mimla, einem Areal in der östlichen Provinz Nangarhar — wie unterschiedlich, und manchmal fragwürdig, die Taliban die Drogenfrage vor Ort handhaben.
Bahramtscha — Ein Drogen-Basar, der geschlossen wird…
Bahramtscha ist berüchtigt. Bekannt als einer der wichtigsten Umschlagsplätze für das Schmuggeln von Drogen aus Afghanistan hat jeder, der sich mit Drogen in Afghanistan beschäftigt hat, von Bahramtscha gehört. Jedoch haben nur wenige Aussenstehende den Ort je besucht. Gründe für letzteres sind die Abgeschiedenheit von Bahramtscha in einem Gebiet an der umstrittenen afghanisch-pakistanischen Grenze, das durch die grosse Wüste, die sich über den südlichen Teil von Helmand erstreckt, vom Rest von Afghanistan abgeschnitten ist sowie Bahramtschas Ruf als ein gesetzloser Schmugglerbasar.
Als SIGA es nichtsdestotrotz schaffte, Bahramtscha zu besuchen, war es nicht wie erwartet. Als der SIGA-Fellow im späten Dezember 2021 in Bahramtscha ankam, wiesen die vielen in der Dunkelheit eines Winterabends schimmernden Lichtern auf eine viel grössere Siedlung hin als gedacht. Am nächsten Morgen wurde sodann klar, dass die meisten der Lichter zu traditionellen Wohnkomplexen gehörten, deren hohen Lehmumfriedungsmauern verstecken, was innerhalb vorgeht. Der Basar, der einzige öffentliche Teil, ist klein, nur zwei, drei staubige Strassen mit einfachen Läden. Einige verkaufen Kleider oder Dinge des täglichen Gebrauchs; vor einem standen farbenfrohe Kindervelos; viele andere sind Werkstätten für Autos, wobei letztere regelmässig von der langen Fahrt durch die Wüste mitgenommen in Bahramtscha ankommen; wiederum andere bieten satelliten-gestütztes WiFi an, die einzige Möglichkeit für Telekommunikation, da es in Bahramtscha kein Mobilfunknetz gibt. Viele Läden waren auch geschlossen. Abgewetzte Metallrollläden verhinderten, zu sehen, was diese einst verkauften. Ob offen oder geschlossen, über vielen der Gebäude im Basar flatterten weisse Taliban-Banner neben Satellitenschüsseln in der leichten Brise.
Trotz zahlreicher offener Läden und dem Umstand, dass es der einzige Handelsplatz im Umkreis von vielen Kilometern ist, war Bahramtschas Basar Ende Dezember 2021 alles andere als belebt. Während den anderthalb Tagen, die die Taliban dem SIGA-Fellow gestatteten in Bahramtscha zu sein, waren nur sehr wenige Leute und Autos im Basar zu sehen und gar noch weniger im Labyrinth von Alleen, die sich zwischen den Umfriedungsmauern der Wohnkomplexe schlängeln. «Das Geschäft ist vollständig zusammengebrochen», sagte ein Ladenbesitzer SIGA. Ein anderer bestätigte dies. «In den vergangenen Monaten habe ich nicht einmal genug Geld verdient, um die Miete zu bezahlen», fügte der Mann hinzu.
Der Basar in Bahramtscha, Helmand Provinz, Afghanistan (Franz J. Marty, 23. Dezember 2021)
Während die Ladenbesitzer nicht erklären konnten oder wollten, was der Grund für den ökonomischen Abschwung ist, ist es, neben der generellen wirtschaftlichen Krise, die der Taliban-Machtübernahme folgte und jeden Teil von Afghanistan trifft, wahrscheinlich dass, was fehlte: es gab keine Anzeichen von Opium oder Heroin, sprich von den Waren, die Bahramtscha bisher angetrieben haben sollen. Während das Fehlen von sichtbaren Anzeichen für Drogenhandel in der westlichen Vorstellung eines versteckten Schwarzmarkts vielleicht erwartet wird, ist die Realität in Afghanistan anders. Journalisten haben nach der Taliban-Machtübernahme das offene Anpreisen und Verkaufen von Opium in anderen Basars in Süd-Afghanistan dokumentiert (siehe für ein Beispiel aus Kandahar Provinz hier); weshalb das völlige Fehlen in Bahramtscha überraschend war.
«Wir haben Opium und Heroin hier verboten,» sagte Abdullah Omari, der Taliban-Gouverneur von Bahramtscha, welches die Taliban zu einem separaten Distrikt erhoben haben, SIGA. «Wir haben keinen schriftlichen Befehl erlassen, sondern dies Leuten in Absprache mit Stammesältesten mündlich gesagt», erklärte Abdullah Omari, dessen pechschwarzer Turban die gleiche Farbe wie sein langer Bart hat, als er nach weiteren Einzelheiten gefragt wurde. «Die meisten haben dieser Anordnung Folge geleistet und ihre ‘Korchonaho’ geschlossen; wir haben die wenigen Orte, die nicht zugemacht haben, zwangsweise geräumt», fügte Abdullah Omari hinzu. Während des Gespräches sass er auf einer Bastmatte auf einer Betonveranda von einem leicht heruntergekommenen Haus am Rande des Basars, das ihm als Büro und Unterkunft dient.
Eine Gruppe von Männern, die im Drogenhandel in Bahramtscha involviert waren, bestätigten dies SIGA und beschwerten sich, dass sie nun keine Arbeit mehr hätten. «Die Taliban meinen das Verbot von Drogenproduktion und -handel [in Bahramtscha] ernst», versicherte einer der Schmuggler SIGA, «sie sagen dies nicht nur um den Anschein zu wahren.»
Schliesslich und nach einigem Zögern, zeigten lokale Taliban SIGA zwei der angeblich zwangsweise geschlossenen Drogenproduktionsstätten in Bahramtscha. Von aussen war das Einzige, was die beiden Anlagen von den zahlreichen anderen Lehmkomplexen unterschied, grosse Xs und Warnhinweise — «خطر بند» («Gefahr. Geschlossen») — die über die Eingangstore und die Wand daneben gesprayt waren. Innen war alles praktisch leer. «Wir haben alle Drogen und alle Ausrüstung weggebracht», behauptete der Talib, der SIGA begleitete. Das einzige Anzeichen für vormalige illegale Aktivitäten im ersten Komplex waren in der Ecke des Innenhofs vergrabene blaue Plastikfässer, die gemäss dem Talib als Versteck für Opium gedient hätten. In der anderen Anlage hatte es auf einem Plastiksack und einer kleinen runden Wanne braune Spuren, offenbar von Opiumpaste; sonst war jedoch auch diese Anlage praktisch leer.
Tor eines Komplexes in Bahramtscha, Helmand Provinz, Afghanistan, der gemäss Taliban eine Drogenproduktionsstätte war, die sie zwangsweise geschlossen und mit einem X und «خطر بند» («Gefahr. Geschlossen») markiert haben (Franz J. Marty, 24. Dezember 2021)
Der leere Innenhof eines Komplexes in Bahramtscha, Helmand Provinz, Afghanistan, der gemäss Taliban eine Drogenproduktionsstätte war, die sie zwangsweise geschlossen haben (Franz J. Marty, 24. Dezember 2021)
… oder immer noch läuft?
Während all dies darauf hinzuweisen schien, dass Drogen in Bahramtscha der Riegel geschoben wird, zeigten weitere Recherchen, dass die Situation nicht so klar ist, wie die Taliban gerne behaupten. «Die Anlagen, [die die Taliban behaupten geschlossen zu haben] weisen keine der Zeichen für Heroin-Herstellung auf», erklärte David Mansfield, der seit mehr als 20 Jahren im Detail Drogenproduktion und -handel in Afghanistan studiert, nachdem er sich Photos, die der SIGA-Fellow in Bahramtscha aufgenommen hatte, angesehen hatte. «Heroin-Produktion hinterlässt viel chemische und andere Abfälle, die schwierig zu reinigen sind», führte Mansfield weiter aus, «aber diese Orte zeigen nichts derartiges.»
Darüber hinaus sagten drei Schmuggler SIGA später in privaten Unterhaltungen, dass, obwohl die Taliban gegen Drogen in Barhamtscha vorgegangen seien, diese nicht alles geschlossen hätten. Zwei der Männer schätzen, dass zwischen 40% und 60% der Heroin-‘Labore’ in Bahramtscha immer noch aktiv seien. «Dies geschieht ohne Zustimmung der Taliban und sie würden diese Anlagen schliessen, wenn sie davon wüssten», versicherte einer der Schmuggler. Der andere widersprach: «die Taliban wissen von den immer noch offenen ‘Korchonaho’, aber es ist nicht klar ob und was sie dagegen unternehmen werden.» Letzteres ist wahrscheinlicher, da es schwer vorstellbar ist, dass zahlreiche ‘Labore’ weiter arbeiten könnten ohne dass die Taliban dies merken oder in die andere Richtung schauen würden.
Zwei weitere Schmuggler, die nicht in Bahramtscha leben, bestätigten ebenfalls, dass der Drogenhandel via Bahramtscha weitergehe. «Ungefähr vor einem Monat habe ich 95 Kilogramm ‘Shisha’ [eine lokale Bezeichnung für Crystal Meth] in Bahramtscha verkauft», sagte ein Schmuggler SIGA Ende Dezember 2021 in Lashkar Goh, dem Hauptort von Helmand. Und am 12. Januar 2022 teilte eine Vertrauensperson SIGA mit, dass ein anderer Schmuggler eine Ladung Drogen auf dem Weg nach Bahramtscha hat und versicherte, dass der Drogenhandel via Bahramtscha ohne grössere Änderungen oder Probleme weitergeht.
In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass das Schmuggeln von Drogen über die umstrittene afghanisch-pakistanische Grenze in Bahramtscha unabhängig von der Frage, wer Afghanistan regiert, schwieriger geworden ist. Wie der SIGA-Fellow selber gesehen hat, hat Pakistan den Grenzzaun — einen doppelten Zaun mit Stacheldraht und einem schmalen Raum zwischen den beiden Zäunen — in Bahramtscha fertiggestellt und der einzige Weg über die Grenze sind zwei halb-offizielle Grenztore. Wie mehrere Quellen, einschliesslich Schmuggler, gegenüber SIGA bestätigten, gibt es durch diese Grenztore keinen oder keinen nennenswerten Schmuggel. Die Grenztore selber dürfen nur von Personen passiert werden, die pakistanische ID oder Flüchtlingskarten besitzen, was viele Afghanen in Grenzgebieten tun. Güter werden gar nicht durchgelassen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es keinen Schmuggel mehr durch Bahramtscha gibt, sondern nur das Schmuggler nun einen grossen Umweg durch die Wüste westlich von Bahramtscha machen müssen, wo es, zumindest bis jetzt, noch keinen Grenzzaun gibt.
Ein Talib vor dem pakistanischen Grenzzaun in Bahramtscha, Helmand Provinz, Afghanistan (Franz J. Marty, 23. Dezember 2021)
Angesichts all des Gesagten scheinen die Taliban in der Tat gegen Drogen in Bahramtscha vorgegangen zu sein, jedoch nur teilweise. Wieso dies der Fall ist, konnte, da die Taliban in Bahramtscha insistieren, dass sie jegliche Drogenproduktion und -handel verboten hatten, nicht definitiv geklärt werden.
Ein möglicher und wahrscheinlicher Grund ist, dass die Taliban in Bahramtscha realisieren, dass die vollständige Schliessung von Drogenproduktion und -handel aller Voraussicht nach das Ende von Bahramtscha bedeuten würde, da der gottverlassene Ort umgeben von kleinen kargen Bergen am Rande der Wüste keine anderen Verdienstmöglichkeiten bietet. Eine andere angebliche Erklärung, die von mehreren Quellen erwähnt wurde, ist dass die Taliban ein kohärentes Vorgehen gegen Drogen von der offiziellen Anerkennung ihres Regimes durch die internationale Gemeinschaft abhängig machen. Während dies möglich ist, schienen die Quellen, die dies erwähnten, dies auf Annahmen und nicht Fakten oder konkrete Indizien zu stützen.
Was auch immer der Grund ist, die Situation in Bahramtscha zeigt, dass die Taliban keine konsistente Politik haben, wenn es zu Drogen kommt.
Mimla — Neue Heroin-‘Labore’
Dass die Taliban offenbar keine klare Linie zu Drogen haben, zeigt sich auch andernorts in Afghanistan, zum Beispiel in Mimla, einem Gebiet in Khogyani, einem Distrikt in der östlichen Provinz Nangarhar.
Am 12. Januar 2022 besuchte der SIGA-Fellow zwei ‘Korchonaho’ in Mimla, die Opium zu Morphin- und Heroin-Basis raffinieren und die beide, gemäss den Männern die sie führen, erst kürzlich aktiv geworden sind. «Bevor die Taliban [im August 2021] die afghanische Republik gestürzt haben, haben ‘Arbaki’ [unterzwischen nicht mehr existierende afghanische Lokalpolizei] die Betreibung von ‘Korchonaho’ verboten und setzten dies auch durch», sagte einer der Männer zu SIGA. «Bisher haben die Taliban nichts gesagt und wir können frei weiter operieren», fügte er hinzu. Der Mann vom anderen ‘Labor’ gab ebenfalls an, dass das Geschäft unter den Taliban einfacher geworden sei, da ‘Labore’ nicht mehr zum Ziel von Raids würden, wie dies unter der vorherigen Regierung der Fall gewesen sei.
Eine Anlage in Mimla, Khogyani Distrikt, Nangarhar Provinz, Afghanistan, in der Opium zu Morphin-Basis verarbeitet wird, aus der Heroin hergestellt werden kann. Wie andere solche Anlagen, ist
die photographierte Stätte simple und besteht lediglich aus einigen Fässern, einer Presse, einigen Plastikwannen, und Tüchern zum Filtern. (Franz J. Marty, 12. Januar 2022)
Inwieweit dies zu einer Expansion der Drogenherstellung geführt hat, ist umstritten. Der Mann, der das grössere ‘Korchona’ führt, gab an, dass die Anzahl von Heroinproduktionsstätten im grösseren Khogyani-Areal, welches die Distrikte von Khogyani, Sherzad, und Pachir Aw Agam umfasst, sich von vorher 5 bis 6 auf jetzt um die 40 vervielfacht hätte. Der Mann, der für das kleinere ‘Labor’ zuständig ist, behauptete jedoch, dass sich die Anzahl von Produktionsstätten nicht verändert hätte, sondern diese nur in tiefer gelegene und einfacher zugängliche Gebiete umgezogen seien. Da ein anderer Einheimischer erklärte, dass viele seiner persönlichen Freunde kürzlich angefangen hätten, in Heroin-‘Laboren’ zu arbeiten, erscheint ersteres jedoch plausibler.
Was mit Sicherheit gesagt werden kann, ist, dass das Vorhandensein von Heroinproduktionsstätten nur einige Minuten Autofahrt von Mimla-Basar, einem lokal wichtigen Handelsplatz, neu ist. Dies wurde von Einheimischen sowie von David Mansfield bestätigt. Mansfield, der diese Region seit Jahren studiert, erklärte diesbezüglich, dass Heroin-‘Labore’ bisher in abgelegenen Berggebieten in Sherzad Distrikt und nicht so weit unten wie in den von SIGA besuchten Orten lagen.
Ockerfarbene Morphin-Basis am Boden eines Fasses mit Opium-Sudes in einer simplen Drogenproduktionsstätte in Mimla, Khogyani Distrikt, Nangarhar Provinz, Afghanistan
(Franz J. Marty, 12. Januar 2022)
In einer simplen Drogenproduktionsstätte in Mimla, Khogyani Distrikt, Nangarhar Provinz, Afghanistan, wird Morphin-Basis aus einem Opium-Sud gefiltert, in dem der Sud durch ein um ein Sieb gespanntes Tuch gegossen wird (Franz J. Marty, 12. Januar 2022)
Während all dies auf ein für Drogen zugänglicheres Umfeld in Mimla unter den Taliban hinweist, beantwortet es nicht die Frage, ob oder inwiefern die Taliban involviert sind. «Bisher haben die Taliban Heroinproduktion weder erlaubt noch verboten», sagte der Mann, der für das grössere ‘Labor’ verantwortlich ist. Der Mann, der die kleinere Produktionsstätte führt, bestätigte dies, fügte jedoch hinzu, dass er erwarte, dass die Taliban Drogen komplett verbieten werden, sobald sie ihre Regierung richtig etabliert haben. Dass die Taliban über die Heroinproduktion in Mimla Bescheid wissen, steht ausser Frage, da es ein offenes Geheimnis ist. Im kleineren ‘Labor’ war gar ein bewaffneter Talib anwesend; was genau der Talib dort machte, war unklar, jedoch hat er kein Problem mit der Heroinherstellung, die vor ihm stattfand.
In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass die oft vorgebrachte Behauptung, dass die Taliban das Drogengeschäft in Afghanistan kontrollieren und davon astronomische Profite generieren, falsch ist, wie detaillierte Recherchen von David Mansfield und seinem Team zeigen. Im Gegenteil wies Mansfield im Gespräch mit SIGA darauf hin, dass die Taliban, wenn sie effektive einen Drogenverbot durchsetzen würden, den Zorn der ländlichen Bevölkerung, die ihren Lebensunterhalt teilweise auf Drogenproduktion stützen, auf sich ziehen würden. Und dass dies sodann ihre Herrschaft gefährden könnte.
Dass die Taliban in der Tat das Wohl ländlicher Bevölkerung, sogar von Drogenproduzenten, berücksichtigen, wurde von den beiden Männern, die die besuchten Heroin-‘Labore’ führen, unabhängig voneinander bestätigt. «Bevor die Taliban die Regierung übernahmen, haben sie die Herstellung und den Handel mit Heroin besteuert; seitdem sie an der Macht sind, haben sie jedoch keine Steuern mehr von uns eingezogen», sagte einer der Männer. Dies wurde später vom anderen Mann bestätigt, der hinzufügte, dass die Taliban die Steuern wegen «der Armut der Leute» in der derzeitigen Wirtschaftskrise erlassen hätten.
Diesbezüglich ist daran zu erinnern, dass die beiden Männer, die die Heroin-‘Labore’ in Mimla betreiben, genau wie die meisten Leute, die in Drogenproduktion und -handel in Afghanistan involviert sind, zwar ihren Lebensunterhalten mit Drogen verdienen, jedoch dabei nicht reich werden. Saläre für Tagesarbeiter und ‘Ustodon’ (‘Professoren’ in Dari, wobei damit Männer gemeint sind, die wissen, wie man Heroin herstellt) sind, obwohl für lokale Standards nicht schlecht, bescheiden. Ein Drogenschmuggler in Bahramtscha beschwerte sich im Gespräch mit SIGA ebenfalls, dass existierende Profite in der langen Kette des Drogenhandels zwischen so vielen Leuten aufgeteilt werden, dass jeder einzelne nicht viel verdiene. Darüber hinaus betonte Mansfield, dass viele Extrapolationen von aus Drogen in Afghanistan stammenden Profiten es unterlassen, die signifikanten Produktionskosten zu berücksichtigen, was zu verzerrten Resultaten führt. Dementsprechend und obwohl es einige grössere Drogenhändler gibt, die gutes Geld machen, ist die Vorstellung von reichen Kartellen oder Drogenbaronen, die den Drogenmarkt in Afghanistan kontrollieren, verfehlt.
Grafik über die notwendigen Zutaten und Kosten für die Produktion von Heroin-Basis in Afghanistan per 2021 (Quelle: David Mansfield)
schlussfolgerung
Alles Obige weist darauf hin, dass die wahrscheinlichste Erklärung für die inkonsistenten Handlungen der Taliban gegen Drogenproduktion und -handel diejenige ist, dass die Taliban versuchen, mit sich in Konflikt stehende Interessen zu balancieren. Solche Interessen sind namentlich die potentiellen Vorteile, die eine totales effektives Verbot von Drogen den Taliban geben könnte, namentlich bessere Chancen auf internationale Anerkennung und — aus der Perspektive der Taliban vielleicht wichtiger — ihren religiösen Überzeugungen, die Drogen als haram qualifiziert, treu zu sein, und, auf der anderen Seite, die Realität, dass der Lebensunterhalt von so vielen Afghanen teilweise vom Drogengeschäft abhängt, dass ein Verbot zu unkontrollierten Konsequenzen führen könnte. Eine andere Möglichkeit ist, dass die Taliban in Anbetracht der Schwierigkeiten dieses Balanceaktes, davor zurückscheuen, eine klare Entscheidung zu treffen und es lokalen Kommandanten und Beamten überlassen, ob und wie stark sie gegen Drogen vorgehen.
Beides würde die derzeitige Situation erklären, in der Regeln und Einstellung von Ort zu Ort und Talib zu Talib unterschiedlich zu sein scheinen. Dies kann zu mehr als bizarren Situationen führen, wie eine im Januar 2022 mit SIGA geteilte Anekdote aus der nordafghanischen Provinz Kunduz zeigt. Dort wurde ein Mann von den Taliban wegen Besitzes von zwei Kilogramm Heroin inhaftiert, wobei dieser Mühe hatte, sein Fehlverhalten zu verstehen, da er eine Quittung mit einem offiziellen Stempel hatte, die auswies, dass er den Taliban Steuern für sein Heroin bezahlt hatte.
Was auch immer die Gründe für das derzeitig inkonsistente Verhalten der Taliban betreffend Drogen sind, der Umstand, dass ein Taliban-Beamter, nachdem er von SIGAs Besuch zu den ‘Korchonaho’ in Mimla erfahren hatte, den Mann aus einem der ‘Labors’ kontaktierte, diesen jedoch nur dafür kritisierte, dass ‘Labor’ einem ausländischen Journalisten gezeigt zu haben, jedoch nicht dafür, dass er Drogen produziert, weist darauf hin, dass die Taliban mehr über den Anschein besorgt sind, denn ob in Afghanistan Drogen produziert werden oder nicht.
Franz J. Marty
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