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Militärisch-operative Ebene: Joint 4.0 (Blog-Serie Teil 2)

Der Multidomain-Ansatz liefert Antworten auf der Suche nach neuen Resilienzformen in einer unsicheren, mehrdeutigen und komplexen Welt. Dieser Ansatz ist umfassend und holistisch zu verstehen, indem Multidomain diverse Bereiche wie Technologie, Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft miteinschliesst. Entsprechend darf dieser ursprünglich militärisch geprägte Begriff nicht alleine in einem sicherheitspolitischen Kontext verstanden werden. Multidomain hat in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zunehmend eine strategische Bedeutung.


Im militärischen Umfeld steht das Konzept der Joint Forces in Zusammenhang mit dem beschriebenen Multidomain-Ansatz. Joint wird als Kampf oder Gefecht der verbundenen Waffen verstanden. Es geht darum, wie die verschiedenen Teile einer Streitkraft koordiniert und gemeinsam gelenkt werden. Die Evolution dieses Verbundgedankens kann in vier Generationen gegliedert werden:


  • Joint 1.0

Zunächst erfolgte die Strukturierung dieses Verbundes über die sogenannten combined arms. Dieser Verbund bestand historisch aus dem gemeinsamen Einsatz von Infanterie, Artillerie und Kavallerie, welche später durch gepanzerte Fahrzeuge ergänzt und ersetzt wurde.

  • Joint 2.0

Mit der Zeit entwickelte sich die Kriegsführung über die Bodentruppen hinaus. Im nächsten Evolutionsschritt folgte der Verbund von Boden, Luft und Marine. Als beispielhaftes operativ-taktisches Element dient hier die Etablierung von sogenannten Forward Air Controller, der auf Stufe des laufenden Gefechts am Boden den Einsatz von Luftnahunterstützung anfordern, koordinieren und führen kann. 

  • Joint 3.0

In der dritten Generation wird der Verbund aus Boden, Luft und Marine mit den Komponenten Weltraum, Cyberraum und elektromagnetischer Raum erweitert. Zentral wurde dabei der Begriff Network-Centric Warfare (NCW), also die netzwerkzentrierte Kriegsführung. Dabei erfolgte durch diverse C4ISTAR-Konzepte [1] eine technologische und prozessuale Dynamisierung des Sensor-, Nachrichten-, Führungs- und Wirkungskreislaufes. Die Kommunikation und Verbundenheit von Systemen soll gewährleistet und die Operationsführung entsprechend vernetzt werden. Daten erlangen dadurch eine zunehmende Bedeutung, allerdings rein als technisches Element zur Übertragung und Verarbeitung von Informationen verstanden. Als Manifestation dieser technologischen Entwicklung gründeten die amerikanischen Streitkräfte beispielsweise das United States Cyber Command oder die sechste Teilstreitkraft United States Space Force. Ein weiteres, beispielhaftes operativ-taktisches Element dieser Joint-Generation stellt das Joint Fire Support Team (JFST) als streitkräftegemeinsame Feuerunterstützung dar.

  • Joint 4.0

In Zukunft wird Joint 4.0 die Krönung dieser Entwicklung darstellen. Dabei werden die einzelnen Abteilungen nicht mehr nur lose verbunden, sondern gewissermassen strategisch und dynamisch vereinigt. Dazu gehören beispielsweise zusätzlich die Bereiche Nachrichtendienst, psychologische Operationen, Informations- und Beeinflussungsoperationen, rechtliche und mediale Kriegführung. Information wird dabei nicht als technologische Kategorie verstanden, sondern als symbolische, informationelle und narrative Kategorie. Insbesondere die Schaffung der Chinesische Strategic Support Force (SSF) und der damit verbundenen strategischen Zusammenlegung der Bereiche Information, Cyber, Elektronische Kriegführung, Weltraum und Nachrichtendienst wurde diesbezüglich schon als innovativer und zukunftsweisender Ansatz bezeichnet. Es geht also um informationsgetriebene Konflikte und Kriege. Die Informationsdominanz, Informationsüberlegenheit und der Informationsschirm sind also wesentliche Elemente eines dynamisierten Verbunddenkens der Zukunft.

Ein mögliches operativ-taktisches Element wäre die Ausweitung des Konzepts der Joint Fire Support Teams auf die Bereiche Information, Social Media Influencing, Cyber, Intelligence und Space, als Joint Fire Support Team PLUS (JFST+).

 

SIGA empfiehlt entsprechend im Rahmen des Joint 4.0 die Aufwertung, Integration und Dynamisierung nachrichtendienstlicher Kompetenzen und Komponenten als informationsraumbezogene, operative Kraft. Zudem können beispielsweise mit dem Einbezug der Militärmusik als operatives Kommunikationsmittel bisher wenig genutzte Potentiale genutzt werden. Darüber hinaus sollen Führungsunterstützung und Logistik vermehrt als aktive, operative Elemente konzipiert und eingesetzt werden. Denn nur das Gesamtsystem kann die domänenübergreifende Verteidigung und Sicherheit in einem modernen Umfeld garantieren.

Der nächste Blog-Artikel in der Serie befasst sich mit der militärstrategischen und organisationskulturellen Ebene.

SIGA arbeitet aktuell an einer umfassenden Studie zum Begriff Multidomain. Die Studie wird im Frühjahr 2021 publiziert. 

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Multidomain_Blogserie_Teil2.pdf
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[1] Dieses Akronym steht für Command, Control, Communications und Computers (C4) sowie Intelligence, Surveillance, Targeting Acquisition und Reconnaissance (ISTAR).