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Grundlagen des Multidomain-Ansatzes (Blog-Serie Teil 1)

Blog-Serie

Der Multidomain-Ansatz liefert Antworten auf der Suche nach neuen Resilienzformen in einer unsicheren, mehrdeutigen und komplexen Welt. Dieser Ansatz ist umfassend und holistisch zu verstehen, indem Multidomain diverse Bereiche wie Technologie, Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft miteinschliesst. Entsprechend darf dieser ursprünglich militärisch geprägte Begriff nicht alleine in einem sicherheitspolitischen Kontext verstanden werden. Multidomain hat in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zunehmend eine strategische Bedeutung. 


Neue Technologien, die Vernetzung der Welt aber auch die politische Fragmentierung sind entscheidende Elemente der heutigen Globalisierung. Diese Tendenzen haben inzwischen fast alle Politik-, Wirtschafts- und Lebensbereiche erfasst. Hierfür hat sich der Begriff VUKA-Welt (VUCA-World) etabliert. Das Weltgeschehen und die sozioökonomischen und -kulturellen Entwicklungen werden zunehmend volatiler, unsicherer, komplexer und mehrdeutiger (ambig). Anstatt krampfhaft gegen diese Welt anzukämpfen, zeichnet sich der Multidomain-Ansatz dadurch aus, dass er diese Entwicklung nutzbar macht und eine interessante Option auf der Suche nach neuen Resilienzformen darstellt. 

Der Multidomain-Ansatz basiert auf einem holistischen Ansatz (holistic approach), also einer möglichst ganzheitlichen und vernetzten Betrachtungs- wie auch Herangehensweise, die als intrinsisches Element eines Systems verstanden werden muss. Netzwerke sind demnach über Institutionen, Kulturen und Technologien hinweg als Verbund von unterschiedlichen Akteuren zu verstehen, die in sich funktionieren und gleichzeitig einander beeinflussen und voneinander abhängen – es geht vielmehr um Ökosysteme als um vordefinierte Kategorien und Silos. Staatliche, wirtschaftliche aber auch zivilgesellschaftliche Akteure können mit diesem Multidomain-Ansatz resiliente und zukunftsfähige Systeme und Strukturen ermöglichen. 

Beispiele aus der Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur

Dem Multidomain-Ansatz vergleichbar kristallisiert sich in der Startup-Szene ein neuer Begriff heraus: Gemeinsamständigkeit. Im Zentrum dieses unternehmerischen Handels geht es um ein auf Vertrauen und Beziehung basierendes Netzwerk von unterschiedlichsten Menschen, Unternehmen und Projekten. Durch dieses vernetzte unternehmen werden neue Formen des Wirtschaftens und der interaktiven Innovation möglich. 

Im kulturwissenschaftlichen Diskurs werden gesellschaftliche Phänomene zunehmend mit interdisziplinären Ansätzen studiert (Interdisziplinarität). Dabei werden Themen aus der Verschränkung und dem Zusammenwirken unterschiedlichster Perspektiven analysiert. Der Mix an Methoden und Perspektiven wird proaktiv gefördert. Dies führt dazu, dass beispielsweise das Bild der Frauen aus einer wirtschaftlichen, historischen, juristischen, systemischen aber zugleich auch aus politisch und technologischer Warte untersucht werden muss. 

So ist es ähnlich bei der Kreislaufwirtschaft. Dort werden Materialien und Ressourcen ganzheitlich und in ganzen Verbrauchs- und Lebenszyklen gedacht. Dabei werden Konzept wie Urban Mining auch versorgungspolitisch relevant und es entstehen neue Formen des Wirtschaftens. 

In der Kunst ist das Konzept des transmedialen Storytellings ein weiteres Beispiel des Multidomain-Ansatzes. In der Filmwelt zeigt sich dieser narrative Ansatz im Aufbau und Erfolg der Marvel-Comic-Filmwelt der letzten Jahre. Dieses erzählerische Universum zeigt auf eine neue Art und Weise, wie Geschichten, Figuren, Dramaturgien und Medien vernetzt werden können. Narrative sind dabei der Haupttreiber und das verbindende Element hinter diesem holistischen und integrativen Multidomain-Ansatz.  

In den internationalen Beziehungen wird dies mit dem Begriff der Internarrativität (Internarrativity) auf die Geopolitik angewendet. Das Konzept umschreibt den Umstand, wenn einzelne Narrative ineinanderpassen und sich gegenseitig geschickt referenzieren. Begriffe werden teilweise polyvalent und austauschbar einsetzbar gemacht, um machtpolitische Ziel zu verwenden.

Der Multi-Domain-Ansatz als unternehmerischer Treiber wird in Wirtschaft und Kultur in mehrfacher Hinsicht erprobt und gelebt. Auf die Sicherheitspolitik bezogen dient das folgende Zitat aus einem Beitrag von Général de Corps d’Armée Jean-Paul Raffenne zur Erklärung der Notwendigkeit eines solchen Multidomain-Ansatzes:[1] «Der zukünftige Krieg wird zunehmend komplexer, der Nebel zwischen Krieg und Frieden wird immer dicker, die Grenzen verschwinden, die möglichen Auseinandersetzungen nehmen zu (…), weit über die klassischen Bereiche hinaus: die Information – falsch oder manipuliert –, die Normen, das Weltall, der kybernetische Raum werden zu neuen Schlachtfeldern. (…) Um den Mutationen des Krieges begegnen zu können, müssen wir unsere Konzepte, unsere Strategien und unsere Werkzeuge anpassen, dazu benötigen wir eine gewisse Flexibilität und Phantasie.». Eine Genealogie des «Joint-Gedankens» hilft zu verstehen, was Multidomain für Streitkräfte zukünftig bedeuten wird.

SIGA arbeitet aktuell an einer umfassenden Studie zum Begriff Multidomain. Die Studie wird im Frühjahr 2021 publiziert.

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[1] ASMZ 07/2020.